— 167 —
Möglichkeit in Einklang mit dem Bundesrat zu setzen. Nur durch Ueberein-
stimmung kann ein Fortschritt in unserer Gesetzgebung entstehen. Der Ab-
geordnete Rickert ist also im Unrecht, wenn er mir bloß diese Lehre giebt; ich
gebe sie ihm vollständig zurück, und in der Art, wie er diese Forderung
seinerseits vorbringt, sehe ich immer wieder den Ausdruck eines Irrtums über
die Gleichberechtigung der beiden Faktoren. Der Bundesrat repräsentirt die
gesamten deutschen Regierungen. Schätzen Sie diesen Faktor nicht gering!
Er ist sehr mächtig, und ich rate Ihnen dringend: suchen Sie ebenso, wie ich
die Uebereinstimmung mit dem Parlament und seiner Mehrheit suche, die
Uebereinstimmung mit der Mehrheit des Bundesrats und der deutschen Re-
gierungen; wir werden uns dann beiderseits finden und auf dem Wege der
Gesetzgebung fortschreiten können. Wenn aber einer dem andern — was der
Bundesrat noch niemals gethan hat — seinen Willen als Gesetz auferlegt,
weil die Majorität da ist, dann werden wir nicht vorwärts kommen, sondern
werden die Gesetzgebung des Deutschen Reichs lahmlegen; und das möchte ich
verhütet sehen."“ «
Und am 3. Dezember 1884 bemerkte Bismarck im Reichstag: „Es sind
nur wenige Wochen vergangen, seit der Bundesrat den gleichen Antrag, der uns
heute vorliegt (sc. der Antrag Windthorst auf Aufhebung des Expatriirungs-
gesetzes), und der im Juni d. J. gestellt worden war, mit einer großen Mehr-
heit abgelehnt hat. Wenn nun heute, wenige Wochen nach dieser Ablehnung,
derselbe Antrag dem Bundesrat zur nochmaligen Erwägung, wie meinem
Vernehmen nach der Abgeordnete Windthorst vorhin gesagt hat, zugestellt und
ihm zu diesem Behufe der Anknüpfungspunkt eines neuen Antrags gewährt
werden soll, so liegt darin doch eine Stellungnahme des Reichstags dem
Bundesrat gegenüber, die ich nicht anders als mit dem Ausdruck „Mißachtung
der verbündeten Regierungen“ bezeichnen kann.
(Widerspruch im Zentrum.)
Ich bin hierzu um so mehr berechtigt, als, wie ich eben höre, der Abgeordnete
Windthorst denselben Ausdruck in Bezug auf das Verhalten der Bundes-
regierungen gegenüber dem Reichstag gebraucht hat. Er hat, wenn ich recht
unterrichtet bin, von einer Mißachtung des Reichstags gesprochen. Die Miß-
achtung ist hier ganz auf Ihrer Seite, indem Sie den Antrag wieder stellen,
mit dem Sie in väterlicher Milde dem Bundesrat Gelegenheit geben wollen,
von seinem übereilten Beschlusse noch zurückzutommen. Es ist das ein Maß
von Geringschätzung, das der Bundesrat dem Reichstag gegenüber sich niemals
erlauben würde. Wenn Sie sich das Maß davon klar machen wollen, so
denken Sie nur, daß die verbündeten Regierungen Ihnen eine Vorlage — ich
nehme an, eine Steuervorlage — gemacht hätten, Sie lehnen sie ab nach
sorgfältiger Erwägung, und acht Tage darauf wird dieselbe Steuervorlage hier
eingebracht, als hätten Sie die erste gar nicht abgelehnt. Wenn das nicht