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letzten Legislaturperioden nur drei wegen Wahlbeeinflussungen hatten kassirt
werden müssen, und wenn im Reichstag von den preußischen Wahlen in der
Legislaturperiode 1884/87 nur eine einzige Wahl, und zwar wegen Verbotes
einer Wahlversammlung auf Grund des Sozialistengesetzes, für ungültig erklärt
worden war, noch dazu unter der Herrschaft einer oppositionellen Mehrheit —
dann war in der That der Beweis erbracht, daß die Wahlfreiheit seitens des
Beamtentums eine Einschränkung nicht erfahren hatte.
In der Audienz, welche Bismarck am 5. Juni beim Kaiser hatte, zu einer
Zeit also, wo das erwähnte Schreiben des Herrn v. Puttkamer bereits sich in
den Händen Seiner Majestät befinden mußte, soll deshalb auch eine weitere
Verfolgung der auf die früheren Wahlen bezüglichen Ausstellungen des Kaisers
nicht mehr in Aussicht genommen sein. Die Verabredung dürfte vielmehr dahin
gegangen sein, daß der Kaiser in die Publikation des Legislaturperiodengesetzes
willigte, sich aber vorbehielt, hinsichtlich der von den Beamten gegenüber den
Wahlen einzunehmenden Haltung in einem besonderen Erlaß seine Befehle kund
zu geben. Dagegen kam der Kaiser allerdings auf den Wunsch der Ver-
abschiedung des ihm politisch unsympathischen Ministers Puttkamer zurück. Mit
Bezug hierauf sprach Bismarck den dringenden Rat aus, daß von einer Realisirung
dieses Wunsches im jetzigen Augenblick abgesehen werden möchte, nicht zum
wenigsten deshalb, damit der Rücktritt des Herrn v. Puttkamer nicht als die
Folge der von der „Freisinnigen“ Partei gegen ihn gerichteten jüngsten Angriffe
erscheinen sollte; Fürst Bismarck verließ nun am 5. Juni mit der Ueberzeugung
das Schloß Friedrichskron, daß ein Ministerwechsel nicht in unmittelbare Aus-
sicht zu nehmen sei, daß vielmehr das Gesetz, betreffend die Verlängerung der
Legislaturperiode, bedingungslos publizirt, demnächst aber ein besonderer, die
Wahlen betreffender Allerhöchster Erlaß erfolgen solle.
Thatsächlich erfolgte denn auch die Veröffentlichung des Gesetzes am 7. Juni.
Ueberraschenderweise aber erhielt Herr v. Puttkamer bald nachher ein Kaiser-
liches Handschreiben, welches die Allerhöchste Unzufriedenheit mit gewissen früheren
Vorgängen bei den Wahlen wiederholt zum Ausdruck brachte und den Minister
des Innern veranlaßte, sofort um seine Entlassung zu bitten. Bereits am
8. Juni in der Frühe kam Puttkamer diesem Befehl nach. Bismarck war, als
er die neue Wendung erfuhr, im höchsten Grade überrascht. Sein Versuch,
noch an demselben Tage eine Audienz beim Kaiser zu erhalten, war ohne Erfolg.
Den Gedanken, den entlassenen Minister zu rehabilitiren, welchen Kaiser
Wilhelm II. eine Zeitlang hegte, gab derselbe auf Bismarcks Vorstellung auf.
Der Minister Puttkamer hat, wenn wir seine Wirksamkeit kurz zusammen-
fassen wollen, die ins Stadium der Versumpfung geratene Verwaltungsreform
wieder aufgenommen und bis auf die von vornherein der Zukunft vorbehaltene
Landgemeindeordnung glücklich durchgeführt, er hat die Bahn erschlossen, auf
der wir zur Beendigung des Kulturkampfes gelangt sind, er hat die Sozial-