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Der Justizausschuß des Bundesrats wollte es bei der Zahl von 12 Ge-
schworenen belassen und nur Erleichterungen betreffs der Zahl der zur eventuellen
Verwendung bestimmten Personen herbeiführen. 1) Diesen Anträgen widersprach
indessen Preußen, welches noch vor der Beratung im Plenum nachstehenden
Antrag einbrachte: „Der Bundesrat wolle beschließen, mit den Anträgen des
Ausschusses für Justizwesen eine Verminderung der Zahl der Urteilsgeschworenen
in nachstehender Weise zu verbinden: § 297 Abs. 2. Zur Verneinung der
Frage nach dem Vorhandensein mildernder Umstände genügt eine Mehrheit von
vier Stimmen. § 307 Abs. 2. Bei jeder dem Angeklagten nachteiligen
Entscheidung ist anzugeben, daß dieselbe mit mehr als vier Stimmen, bei
Verneinung der mildernden Umstände, daß dieselbe mit mehr als drei Stimmen
gefaßt worden ist. Im übrigen darf das Stimmenverhältnis nicht aus-
gedrückt werden.“ 2)
Der von Bismarck eingebrachte Antrag interessirte denselben so lebhaft,
daß er bei der Beratung desselben im Plenum des Bundesrats am 30. April
seit langer Zeit wieder daselbst erschien. Die Sitzung war auf 2 Uhr im alten
Reichstagsgebäude in der Leipziger Straße angesetzt, und der Reichskanzler er-
schien bereits vor Beginn derselben. Der Justizminister Dr. Friedberg vertrat
den preußischen Standpunkt und besonders den neuen preußischen Antrag. Der
Staatssekretär v. Schelling wies die Bedenken betreffs der Bedürfnisfrage zurück
und verwies ganz besonders auf die im Laufe der Jahre stattgehabten Ver-
handlungen des Reichstags. Fürst Bismarck beteiligte sich sehr eifrig und warm
an den Debatten und verbreitete sich in längerer Rede über die Anträge der
Regierung; er wünschte deren Annahme. Seitens der Mehrzahl der Bevoll-
mächtigten wurde der Wunsch geltend gemacht, die neu entwickelten Gesichts-
punkte und namentlich den Inhalt der Rede des Reichskanzlers ad referendum
zu nehmen. Hiernach gestaltete sich die ganze Debatte lediglich zu einem Mei-
nungsaustausch,) weshalb der offizielle Bericht des „Reichsanzeigers“ über die
Sitzung diesen Gegenstand und die Anwesenheit Bismarcks überhaupt nicht
erwähnte.
In der Sitzung vom 5. Mai 1885 wurde sodann der Antrag wegen
Herabsetzung der Zahl der Geschworenen von 12 auf 7 und der weiter dazu
gehörige Antrag Preußens angenommen. Die Vorlage blieb im Reichstag unerledigt.
1) Die Vorschläge des Justizausschusses finden sich in der „Nat.-Ztg.“ Nr. 274
v. 29. 4. 85.
2) „Nat.-Ztg.“ Nr. 277 v. 1. 5. 85.
3) Die „Nat.-Ztg.“ Nr. 280 v. 2. 5. 85 wußte noch zu berichten: Die gestrige
Bundesratssitzung wurde heute in den parlamentarischen Kreisen lebhaft besprochen. Bisher
war die Opposition gegen die preußischen Vorschläge, besonders seitens einiger süddeutschen
Staaten, sehr energisch; nach der Rede des Fürsten Bismarck wurden die Opponenten jedoch
ziemlich kleinlaut und erachteten den Antrag des weimarschen Bevollmächtigten auf Ver-
tagung der Angelegenheit als ein „erlösendes Wort".