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ein Disciplinarverfahren auch wegen Handlungen für zulässig, welche ein Reichs-
beamter vor seiner Anstellung im Reichsdienste begangen hatte.!1)
4. Reichstag.
Freifahrtkarten der Reichstagsabgeordneten. Für die am
24. November 1884 beginnende VI. Legislaturperiode des Reichstags schränkte
der Bundesrat den bisherigen Umfang der Freifahrtkarten der Reichstagsab-
geordneten ein.2) Diese Karten wurden für die neue Legislaturperiode in der
Weise ausgestellt, daß sie den Inhabern die freie Fahrt nur auf den in den
Karten bezeichneten, den Verkehr zwischen Berlin und dem Wohnort der In-
haber vermittelnden Eisenbahnstrecken gewährten. Demzufolge erhielten diejenigen
Abgeordneten keine Karte, welche in oder in solcher Nähe der Stadt Berlin
wohnten, daß die Benutzung der Eisenbahn für den Verkehr zwischen beiden
Orten ausgeschlossen war. Die freisinnige Partei protestirte gegen die Neuerung.
Diäten der Reichstagsabgeordneten. In der Sitzung des
Bundesrats vom 1. Januar 1885 wurde beschlossen, dem vom Reichstage an-
genommenen Gesetzentwurfe, betreffend die Abänderung des Artikels 32 der
Reichsverfassung (Diäten), die Zustimmung nicht zu erteilen.
1) Ferner sind in Kohls Bismarck-Regesten übersehen die Vorlagen des Reichskanzlers
an den Bundesrat, betreffend: 1. den Entwurf einer Verordnung über die Kaution des
Rendanten der Patentamtskasse. Schreiben vom Juli 1884; 2. die Kautionen der
Marinezahlmeister. Schreiben vom März 1885. „Nat.-Ztg.“ Nr. 217 v. 1. 4. 85; 3. den
Entwurf einer Verordnung über die Kautionen der Zahlmeister des Reichsheeres. Schreiben
vom April 1885.
2) Zur Beurteilung der Art, wie die Freikarten der Reichstagsmitglieder bisher benutzt
worden waren, gab die „Nordd. Allg. Ztg.“, Nr. 556 v. 26. 11. 84, einige Daten über die
Wegestrecken, die von einzelnen Abgeordneten in der achtmonatigen Fahrberechtigung, welche
zwischen Dezember 1881 und Oktober 1882 fällt, zurückgelegt wurden. „Es zeichnen sich
darunter namentlich solche Abgeordnete aus, welche in Berlin wohnen und also die allerkürzeste
Entfernung von ihrem Domizil bis zum Reichstagsgebäude zurückzulegen haben. Dieselben
haben in den gedachten acht Monaten ihre Freikarte, der Eine für 17204 Kilometer be-
nutzt, Andere, gleichfalls Einwohner Berlins, für 5235, 5523, 9533 und ähnliche Zahlen.
Auch ein elsässischer Abgeordneter, der, wie die meisten seiner Landsleute, seinen Sitz im
Reichstage in der Regel leer ließ, hat seine Freikarte auf 12794 Kilometer benutzt, und
die Ziffern von 8—11000 Kilometer gehören nicht zu den Seltenheiten, während die Ent-
fernung des Wohnortes des reiselustigen Teils der Abgeordneten von Berlin doch nur in
seltenen Fällen 300 Kilometer überschreitet. Die Meistbeteiligten unter ihnen wohnen, mit
Ausnahme der elsässischen Abgeordneten, entweder in Berlin oder in größerer Nähe der
Residenz. Es kommt noch dazu, daß die uns zugänglichen Nachweisungen nicht ohne Lücken
sind und die in Wirklichkeit zurückgelegte Kilometerzahl sich noch höher stellen würde. Es
führt das zu der Vermutung, daß die Beschlußunfähigkeit des Reichstags bisber ebenso oft
mit der Reiselust mancher seiner Mitglieder, als mit anderen Gründen in Zusammenhang
gebracht werden kann.“