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5. Zoll- und Steuerwesen.
Zolltarif. Erhöhung der Getreidezölle. Es stellte ein bisher
ungewöhnliches Verfahren dar, daß der Reichskanzler mit eigenhändiger Unter-
schrift Petitionen, welche die Erhöhung der Getreidezölle verlangten, an den
Bundesrat gelangen ließ. 1) Er zeigte dadurch, wie sehr er sich für diese zoll-
politische Maßregel interessirt.
Zolltarifnovelle. Mitte Januar 1885 ließ der Reichskanzler die von
ihm in der Reichstagssitzung vom 8. Januar bereits angekündigte Zoll-
tarifnovelle dem Bundesrat zugehen. :) Der Gesetzentwurf umfaßte zumeist die
in der vorigen Session teils vom Reichstag abgelehnten, teils nicht mehr zur
Beratung gekommenen Tarifänderungen, einzelne darunter mit wesentlichen Mo-
difikationen. Als neu waren zunächst die Getreidezölle zu erwähnen, wobei Roggen
mit 2 Mark, Weizen mit 3 Mark angesetzt waren; die Holzzölle waren für
rohes und für unbearbeitetes Holz in gleicher Höhe wie in der vorigen Vor-
lage, für bearbeitetes jedoch wesentlich höher angesetzt. Oele hatten eine durch-
greifende Umgestaltung im Anschluß an die früheren Vorschläge erfahren.
Mühlenfabrikate wurden von 3 auf 5 Mark gesetzt.
Der Gesetzentwurf erhielt die Genehmigung des Bundesrats und des
Reichstags.
Wie aus Darmstadt der „Frankfurter Zeitung“ geschrieben wurde, hatte
der hessische Bevollmächtigte beim Bundesrat, Neidhardt, auf ausdrücklichen
Wunsch des Großherzogs die Instruktion erhalten, dahin zu wirken, daß,
wofern die Getreidezölle erhöht würden, der Bundesrat ermächtigt werde, in
Fällen der Teuerung die Zölle unverzüglich zu ermäßigen, eventuell ganz auf-
zuheben. Danach schien die hessische Regierung nicht der Ansicht zu sein, daß
der Preis des Getreides ohne Einfluß auf den Preis des Brotes sei.
Im Hinblick auf die Dringlichkeit gegenüber der vorläufigen Einführung
1) Es geschah dies mittelst eines Schreibens vom 12. Dez. 1884, Drucks. Nr. 128 in der
S. 94 Note 4 bezeichneten Quelle. „Nat.-Ztg.“ Nr. 703 v. 21. 12. 84. Die Vorlage
weiterer Eingaben dieser Art erfolgte mit Schreiben des Reichskanzlers (in Vertretung
v. Burchard) d. d. 23. Dez. 1884, Drucks. Nr. 137 a. a. O.; 6. Januar 1885, Druckf.
Nr. 2 g. a. O.; 14. Januar 1885, Drucks. Nr. 8 a. a. O.; 22. Januar 1885, Drucks.
Nr. 12 a. a. O. Die zuletzt erwähnten 4 Schreiben des Reichskanzlers sind in Kohls
Bismarck-Regesten übersehen.
2) In Kohls Bismarck-Regesten übersehen. Nach Schultheß Geschichtskalender datirt
Bismarcks Vorlage vom 15. Jan. 1885. Näheres über die Vorlage findet man in der
„Nat.-Ztg.“ Nr. 29 v. 15. 1. 85, Nr. 32 v. 16. 1. 85, Nr. 38 v. 18. 1. 85; „Nordd.
Allg. Ztg.“ Nr. 23 v. 15. 1. 85 u. Nr. 26 v. 16. 1. 85.