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die Rechte, wurde 1860 Gerichtsassessor und nach kurzer gerichtlicher Thätigkeit
bei der Berliner Staatsanwaltschaft beschäftigt, bis seine Einberufung ins Mini-
sterium der auswärtigen Angelegenheiten erfolgte.
Hier hat er zunächst als Assessor, später als Hilfsarbeiter (1869) und als
vortragender Rat (1872) die verschiedensten Materien bearbeitet, was ihm für
die Vielseitigkeit der Ansprüche, welche das schließliche Amt als Direktor der
handelspolitischen Abteilung an ihn stellte, zu statten gekommen ist.
Schon in die Jahre seiner Hilfsarbeiterschaft fallen eingehendere Studien,
denen er sich bezüglich zweier Spezialmaterien mit besonderem Interesse hingab,
und denen er es zu danken hatte, daß er später auf diesen Gebieten mit Erfolg
wirksam sein konnte, nämlich betreffs des internationalen Urheberrechtsschutzes
und des Auswanderungswesens.
In ersterer Beziehung hat er als erster deutscher Bevollmächtigter namentlich
die neuesten Literarkonventionen mit Frankreich, Belgien, Italien, Oesterreich-
Ungarn (sowie auch den von dem andern vertragschließenden Teile leider nicht
ratifizirten Vertrag mit den Niederlanden) vorbereitet, unterhandelt und ab-
geschlossen, ganz besonders aber Gelegenheit gefunden, sich für das Zustande-
kommen des sogenannten Welt-Literarvertrags und der Zusatzverträge dazu auf
den internationalen Konferenzen in Bern (1884 und 1885 und Paris (1896)
nützlich zu machen.
Schwieriger wurde es ihm, auf dem Gebiete des Auswanderungswesens
das seit langen Jahren mit vieler Mühe und fortgesetzter Arbeit erstrebte Ziel
— eine rationelle und nationale Regelung der Materie — zu erreichen. Mannig-
fache Vorurteile und Gegenströmungen mußten bekämpft, jahrelange Vorstadien
mußten durchgemacht werden, bevor es gelang, mit dem Gesetzentwurf hervor-
zutreten, welcher schließlich in dem Gesetz über das Auswanderungswesen vom
9. Juni 1897 zur Geltung gelangt ist. Reichardt in seiner Eigenschaft als
Vorsitzender der mit der Ausarbeitung dieses Gesetzes betrauten Kommission
und seine der letzteren angehörigen Mitarbeiter aus den beteiligten Reichs= und
preußischen Ressorts hatten, wie die im wesentlichen aus seiner Feder geflossenen
Motive und seine Erklärungen bei Vertretung der Vorlage im Reichstage des
näheren ergeben, ihr Bemühen dahin gerichtet, in dem Gesetze eine Handhabe
zu schaffen, welche entsprechend dem seit länger als einem halben Jahrhundert
hervorgetretenen Verlangen der öffentlichen Meinung eine rationelle Lenkung der
deutschen Auswanderung ermöglicht.
Nach Reichardts Ernennung zum vortragenden Rat wurde ihm unter
anderen Materien auch die Bearbeitung des internationalen und interterritorialen
Eisenbahnwesens übertragen. Demzufolge hat er bei den zahlreichen während
der siebziger und zu Anfang der achtziger Jahre deutscherseits mit dem Aus-
lande abgeschlossenen Eisenbahnverträge namentlich auch als Unterhändler mit-
gewirkt, und ferner mannigfache, durch die damalige Verstaatlichung der Eisen-