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Monate erlitten haben, Ausdruck und bat den Vorsitzenden, Seiner Majestät
dem Kaiser die ehrfurchtvollste Teilnahme des Bundesrats auszusprechen. 1)
Aus Bundesratskreisen wurde mir über die Anwesenheit Bismarcks in
der Sitzung vom 21. Juni noch Folgendes berichtet:?)
Die erste Sitzung des Bundesrats nach der Beisetzung Kaiser Friedrichs
war, da Fürst Bismarck dieselbe eröffnete, von besonderem Interesse. Zu dieser
Sitzung hatten sich, soweit ich mich erinnere, alle in Berlin anwesenden Bevoll-
mächtigten, insbesondere auch alle preußischen Minister eingefunden. Als bis
auf den Fürsten die Versammlung vollzählig zu sein schien, verließ Herr
v. Boetticher den Saal — es war der alte Saal im Hause Wilhelm-
straße 74 —, um den Fürsten einzuführen. Bald darauf wurde die Flügelthür
weit geöffnet, und herein schritt der Fürst, begleitet von Herrn v. Beetticher.
Er begrüßte die Versammlung durch leichtes Neigen des Hauptes und nahm,
nachdem der hanseatische Gesandte mich vorgestellt hatte, unter respektvollem
Schweigen der Bevollmächtigten im Präsidialsessel Platz. Der Fürst hielt nun-
mehr eine Ansprache, welche auf die Anwesenden großen Eindruck machte. Er
führte im wesentlichen aus, daß die Politik des Kaisers Wilhelm II. sich durchaus
in der Bahn der Politik seines Großvaters und seines Vaters bewegen werde.
Es sei ganz unrichtig, wenn man es unternehme, zwischen der Politik Kaiser
Wilhelms I. und der Politik des Kaisers Friedrich einen grundsätzlichen Unter-
schied zu statuiren. Der jüngstverstorbene hohe Herr habe nichts anderes gewollt
als sein Vater vor ihm, und wenn es in der allerletzten Zeit manchmal den
Anschein gehabt habe, als sei die Kontinuität der Kaiserlichen Politik unterbrochen,
so erkläre sich dies aus bekannten Gründen. (Ich faßte diese Aeußerung damals
dahin auf, daß der Fürst darauf habe hindeuten wollen, daß des todkranken
Kaisers Willensfähigkeit so gut wie aufgehoben gewesen sei.) Die Kontinuität
sei gewahrt geblieben, solange des Kaisers wirklicher Wille habe zum Ausdruck
gelangen können. Er, Fürst Bismarck, bitte die Bevollmächtigten, dem Gerede,
1) Nach der „Westdeutschen Ztg.“ hatte der Bundesrat eine Erklärung als Erwiderung
auf die Kaiserliche Kundgebung bezüglich der Thronbesteigung des Kaisers Wilhelm, welche
durch den Reichskanzler zur Mitteilung gelangte, vereinbart. Danach erklärten die ver-
bündeten Regierungen der Mitteilung gegenüber ihre vollste Sympathie. Die Kaiserliche
Versicherung bezüglich der Aufrechthaltung der Reichsverfassung und des durch dieselbe
gewährleisteten Schutzes der vertragsmäßigen Rechte der einzelnen Bundesstaaten wie der
Gesamtheit finde die einmütige Zustimmung der verbündeten Regierungen. Die Kaiserliche
Absicht, in der innern wie in der auswärtigen Politik die Richtung der Vorgänger festzu-
balten, gelte als ein Unterpfand für die gedeihliche Weiterentwicklung des Reiches und eine
Bürgschaft des Friedens. Die verbündeten Regierungen brächten dem Kaiser Wilhelm
volles Vertrauen entgegen und erwiderten die erhabenen Kaiserlichen Worte „mit der Ver-
sicherung bundesfreundlicher Unterstützung und bereitwilliger Mitwirkung“.
2) Zu vgl. auch ein Referat in dem „Berliner Tageblatt“ vom 22. 6. 88.