Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Fünfter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1881-1900). (5)

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daß beim Nachhausekommen nur noch Zeit war, Toilette für die Tafel zu 
machen. Der Fürst war in der liebenswürdigsten Laune, und seine ergötzlichen 
Erzählungen rissen den ganzen Abend nicht ab, so daß Hobrecht unmöglich mit 
der ledernen Frage nach konstitutionellen Garantien dreinfahren konnte. Der 
Fürst geleitete als aufmerksamer Wirt Herrn Hobrecht auch auf sein Schlaf- 
zimmer, und nun glaubte dieser endlich den Augenblick gekommen, wo er die 
klare, wohlgesetzte Rede halten konnte, auf die er sich auf der ganzen Eisen- 
bahnfahrt so sorgfältig vorbereitet hatte. Schon räusperte er sich, um anzu- 
fangen, als das Auge des Fürsten plötzlich unter dem Bette seines Gastes eine 
Lücke entdeckte: „Da fehlt ja der Stiefelknecht! Die verwünschten Bedienten. 
Man kann sich nie auf sie verlassen. Aber ich werde Ihnen gleich einen 
Stiefelknecht besorgen.“ Und so stürmte er fort, um für seinen Gast zu sorgen. 
Der Stiefelknecht erschien, aber der Fürst kam nicht wieder, und so mußte der 
Finanzminister seine Hoffnung auf den nächsten Vormittag setzen. Er wollte 
sich um 9, um 10, um 10 ½ Uhr bei Durchlaucht anmelden lassen, aber der 
Fürst schlief noch immer den Schlaf des Gerechten. Und um 11 Uhr stürzte 
der fürstliche Diener herbei, um zu melden, daß der Zug gleich abgehe, der 
Wagen vor der Thür halte und der Koffer der Excellenz schon aufgepackt sei. 
So fuhr denn der Finanzminister nach Berlin zurück, bereichert um die Er- 
fahrung, was sein Chef, der berühmte Diplomat, unter einer dilatorischen Be- 
handlung versteht. So erzählen die meisten. Indessen unverbesserliche Leute, 
die jede gute Geschichte verderben wollen, behaupten, daß der Finanzminister 
dennoch des Kanzlers ein Stündchen habhaft geworden sei. Jedenfalls hat 
Herr Hobrecht von Friedrichsruh nicht die gewünschte Ermächtigung zurück- 
gebracht, sich im Namen des Staatsministeriums für die von der Budget- 
kommission vorgenommene Formulirung in der betreffenden Angelegenheit zu 
erklären."“ . 
Offiziöswurdedazugeschrieben:,,Die,KölnischeZtg.«erzähltedieserTage 
eine ergötzliche Geschichte über den Verlauf, den ein Besuch des Finanzministers 
Hobrecht beim Fürsten Bismarck in Friedrichsruh genommen haben soll. Offenbar 
hat die Phantasie des Erzählers die Kosten der Erfindung allein bestritten und 
sich nicht der kleinsten Anlehnung an thatsächliche Vorgänge schuldig gemacht. 
Am wichtigsten ist, daß die politische Pointe der Geschichte nicht wahr ist, 
nämlich die Voraussetzung, daß bei dem Besuch eine Aussprache über die Frage 
der sogenannten konstitutionellen Garantien nicht erfolgt sei. Die Wahrheit ist, 
daß das Ergebnis des Besuchs, nämlich die Verständigung über die Erklärung, 
wie sie der Finanzminister nach Einholung der Allerhöchsten Genehmigung 
seitdem im Abgeordnetenhause abgegeben, bereits vor den Augen der Oeffentlich- 
keit liegt. Der Genuß an jener Erfindung der „Kölnischen Ztg. ist durch 
die so bald erfolgte Abgabe der Erklärung des Finanzministers natürlich etwas 
verkürzt worden.“
	        
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