3354 —
des 10. Armeecorps, General der Infanterie v. Caprivi ernannt und mit der
Leitung des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten einstweilen den
Staatsminister Grafen v. Bismarck-Schönhausen beauftragt.
Berlin, den 20. März 1890. Milhelm.
v. Caprivi.
In der am 27. März abgehaltenen Plenarsitzung des Bundesrats be-
grüßte der Reichskanzler v. Caprivi die Versammlung. Von der erfolgten
Entbindung des Fürsten v. Bismarck von dem Amt als Reichskanzler nahm
der Bundesrat Kenntnis.
Der Bundesrat verabschiedete sich in einer im wärmsten sympathischen
Ton gehaltenen Adresse von seinem bisherigen Vorsitzenden. Die Adresse wurde
von sämtlichen Mitgliedern des Bundesrats unterzeichnet und am 24. März
Bismarck zugestellt.!) Es waren in der Adresse die über zwei Jahrzehnte sich
erstreckende Zusammenarbeit, das große Verständnis, welches der erste Reichs-
kanzler für die Interessen aller Bundesstaaten bewiesen habe, und seine Ver-
dienste um des Reiches Macht und Wohlfahrt hervorgehoben.
In seiner Antwort vom 27. März bemerkte Bismarck, es sei ihm versagt
worden, seine amtliche Thätigkeit in Gemeinschaft mit dem Bundesrat als dem
obersten gesetzgebenden Körper und dem Vertreter der verfassungsmäßigen Rechte
des Volkes und der Fürsten fortzusetzen; aus den langen freundlichen Be-
ziehungen entnehme er bei seinem Scheiden das Recht, dem Bundesrate em-
pfehlen zu dürfen, daß er die Stellung eines gleichberechtigten gesetz-
gebenden Körpers festhalte und die Stellung einer vorwiegend
ministeriellen Behörde meide.
In der Presse wurde die gesperrt gedruckte Stelle dahin ausgelegt: Wenn
Bismarck die Gleichberechtigung des Bundesrats als gesetzgebenden Körpers betont,
so hatte er augenscheinlich das Verhältnis zum Reichstag, nicht aber zu den Reichs-
behörden, im Auge, und die Gefahr, die er zu meiden rät, besteht darin, daß
sich der Bundesrat mehr, als es die Verfassung vorschreibt, von den Beschlüssen
des Reichstags abhängig macht, was zum Beispiel dadurch geschehen kann, daß
er als Ministerium mit dem Reichstag über seine Vorlagen verhandelt und
während der Verhandlungen des Reichstags mit diesem Kompromisse schließt.
Ein solcher Fall lag bei dem Seozialistengesetz kurz vor Schluß des vorigen
Reichstags nahe. Fürst Bismarck vertrat damals den Standpunkt, daß der
1) Der Großherzog von Sachsen-Weimar ließ das von ihm an Bismarck gerichtete
Handschreiben durch den weimarischen Bundesratsbevollmächtigten, Geheimen Staatsrat
Dr. Heerwart übergeben. Bismarck nahm dasselbe am 27. März entgegen und sprach
Dr. Heerwart seinen lebhaften Dank aus für diesen neuen Beweis der gnädigen Gesinnung
des Großherzogs, der er sich seit langen Jahren erfreue und die ihn unter den gegen-
wärtigen Umständen doppelt wohlthuend berühre.