Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Fünfter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1881-1900). (5)

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Nach diesen verfassungsmäßig unanfechtbaren Sätzen kann auch der preußische 
Ministerpräsident nicht „auf eine ihm zukommende Stellung“ im Bundesrat 
„verzichten“ und dort als „einfaches Mitglied“ erscheinen. Er muß die 
Leitung der Geschäfte dem Reichskanzler oder dem nach Artikel 15 der Ver- 
fassung von diesem substituirten Mitgliede des Bundesrats notwendig überlassen; 
und wem die Stimmabgabe für Preußen übertragen wird, hängt allein von 
der Königlichen Entscheidung ab, die durch keine verfassungsmäßige oder gesetzliche 
Bestimmung präjudizirt ist. 
Das geschäftlich Natürlichste wird immer sein, daß die preußische Stimme 
von dem preußischen Ministerpräsidenten, falls er anwesend ist, abgegeben wird; 
aber es hängt diese Stimmabgabe für Preußen mit der Leitung der Geschäfte 
im Bundesrat nicht untrennbar zusammen. Der preußische Ressortminister 
für die deutschen Angelegenheiten, also auch für die Stimmabgabe im Bundes- 
rat, ist und bleibt der preußische Minister für auswärtige Angelegenheiten, 
der sich dabei im Einklang mit seinen preußischen Kollegen zu halten hat. 1) 
* 
6. Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten ist der Instruktor 
der preußischen Stimme im Bundesrat und als solcher dem Tandtag 
verantwortlich. 
Dieser Behauptung (scil., daß die Instruktion der preußischen Bundes- 
ratsstimme nicht vom Minister des Auswärtigen, sondern vom Gesamtministerium 
ausgeht,:?) läßt sich der Reiz der Neuheit nicht absprechen; dagegen entbehrt 
1) Nach den „Hamb. Nachr.“; ck. Johs. Penzler a. a. O., Bd. III, S. 189. 
2) Der von Bismarck reprobirten Ansicht huldigte im Jahr 1873 der Staatsminister 
Roon, ebenso die „Neue Preuß. Ztg.“, welche bemerkte: „Nach der Reichsverfassung vertritt 
der Bundesrat zugleich die Stelle eines Staatenhauses. Während in dem Reichstage die Ab- 
geordneten der gesamten deutschen Nation sitzen und nicht als Preußen, Bayern, Sachsen 
u. s. w., sondern als Bürger des Deutschen Reiches stimmen, haben im Bundesrate die 
einzelnen deutschen verbündeten Staaten ihre besondere Stimmenzahl und ihr selbständiges 
Votum. Die Mitglieder des Bundesrats sind Vertreter der besonderen deutschen Einzel- 
staaten und erhalten von den Regierungen derselben Mandat und Instruktion. In dem 
Bundsrat kommen grundsätzlich und verfassungsmäßig die Interessen dieser Einzelstaaten 
zur Vertretung und Ausgleichung, und bei jeder im Bundesrat zu verhandelnden Frage 
haben die Vertreter der Einzelstaaten und ihre Regierungen pflichtmäßig sich gewissenhaft 
zu vergegenwärtigen, welche Rückwirkung dieselbe auf ihren Einzelstaat habe. Nicht als 
ob es die Aufgabe des Bundesrats wäre, einen einseitigen engherzigen Partikularismus 
zu pflegen; wohl aber ist es sein Beruf, die Einzelstaaten vor Vergewaltigung zu schützen, 
der liberalistischen Einheitsströmung des Reichstags Maß und Ziel zu setzen und ein 
ruhiges, organisches Wachstum des deutschen Reichsverbandes zu immer stärkerer Festigkeit 
und Einigkeit zu fördern. Es ist hiernach ein berechtigtes Verlangen, daß auch die 
17 preußischen Stimmen im Bundesrat so abgegeben werden, wie es das Interesse 
Preußens, als eines selbständigen, auch im Reiche selbständig verbliebenen Staatskörpers
	        
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