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die einzelnen Minister ab; aber der Kanal, vermöge dessen das preußische
Gesamtministerium seine Abstimmung in den Bundesrat leitet, ist eben staats-
rechtlich der preußische Minister der auswärtigen Angelegenheiten, und dieser
ist auch in erster Linie vor seinen Kollegen berufen, als Ressortminister dem
preußischen Landtage gegenüber das preußische Bundesratsvotum verantwortlich
zu vertreten.
Der Gedanke, daß der preußische Minister der auswärtigen Angelegen-
heiten vom preußischen Landtage nur dann zur Rechenschaft gezogen werden
könne, wenn er die preußischen Stimmen im Bundesrate „instruktionswidrig“
geführt habe, ist eine willkürliche Behauptung, die wir vom Standpunkt des
Verfassungsrechtes als eine banausische bezeichnen müssen. Gerade für das
instruktionsmäßig im Namen Preußens abgegebene Votum ist der preußische
Minister der auswärtigen Angelegenheiten dem preußischen Landtage verant-
wortlich. Die 30 Millionen Preußen haben ein unverkümmertes Recht, zu
wissen, wie in ihrer Vertretung im Bundesrate votirt wird, und ihren aus-
wärtigen Minister dafür verantwortlich zu machen. Wenn die preußischen
Interessen im Bundesrate unzweckmäßig vertreten werden, so hat der preußische
Landtag das Recht, die Anwesenheit des preußischen auswärtigen Ministers zu.
dem Behufe zu verlangen, daß er ihm seine Gravamina direkt zu Gehör
bringen kann. 1)
*
7. Die BVerechtigung des Reichskanzlers zu Vräsidialporlagen an den
Wundesrak.)
Wenn im Bundesrat eine in der Reichsverfassung unseres Erachtens nicht
begründete „Präsidialvorlage“ eingebracht wird, so mögen das preußische Mini-
sterium und dessen nichtmilitärische Mitglieder von der Richtigkeit derselben über-
zeugt sein oder nicht, unsere heutigen Minister werden immerhin schwerlich zu
dem Entschlusse gelangen, gegen eine Vorlage zu stimmen, welche zwar nicht
im Namen des Königs von Preußen, aber doch in dem des Koaisers eingebracht
ist; sie werden sich nicht für berufen halten, die Verfassungsmäßigkeit einer
solchen Kaiserlichen oder kanzlerischen Bundesratsvorlage ihrerseits zu prüfen.
Zur Beurteilung der verfassungsrechtlichen Frage braucht man nur den Fall zu
setzen, daß der König von Preußen seine Vertretung im Bundesrate nicht dem
von ihm ernannten Kanzler, sondern einem andern sein Vertrauen besitzenden
preußischen Minister übertrüge, so daß der Kanzler zwar verfassungsmäßig den
Vorsitz im Bundesrate, aber nicht die preußische Stimme in demselben zu führen
1) „Hamb. Nachr.“ vom 16. März 1854; bei Johs. Penzler Bd. V, S. 6; vgl. auch
„Bismarcks Gedanken und Erinnerungen“ Bd. II, S. 209.
2) Die Frage ist in den vorherigen Abschnitten bereits mehrfach gestreift.