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ihm aus früherer Zeit bekannt, daß er niemand um die Nachfolgerschaft beider
beneide. Seine Grundstimmung war, daß beide unersetzlich seien. Dies sprach
er Hoenig gegenüber noch als Reichskanzler aus.
Aus der Stettiner Zeit des Generals v. Caprivi wird folgende Geschichte
erzählt: Herr v. Caprivi wohnte in demselben Hause mit einem jungen Ver—
sicherungsbeamten, mit dem er bei der Begegnung auf der Treppe allerlei kleine
Artigkeiten austauschte, zum Beispiel das Angebot eines Zündholzes zum Be—
leuchten der Treppe u. s. w. Auf dem Wege nach Hause gewahrte der Beamte
eines Abends hinter sich in einiger Entfernung seinen Hausgenossen. Der Weg
führte bei einem auf Posten stehenden Soldaten vorbei, der es sich in einem
falschen Gefühl der Sicherheit allzu bequem gemacht hatte. Der Beamte ruft
dem Manne zu: „Aufgepaßt, Caprivi kommt!“ und der Posten hat noch Zeit
genug, das Gewehr zu ergreifen und sich in Positur zu stellen. Caprivi geht
militärisch grüßend an ihm vorüber und trifft im Hausflur auf den jungen Mann.
Bis dahin hatte er diesem niemals die Hand gereicht, jetzt aber that er es mit
kräftigem Druck und sagte ernst: „Ich danke Ihnen im Namen des Postens."“
Die kleine Geschichte ist bezeichnend für den Reichskanzler. Sie spricht von
Wohlwollen und Güte in der Brust auch eines strengen Militärs.
Caprivi war im Dezember 1882 kaum zum Kommandeur der 30. In-
fanteriedivision in Metz ernannt, als er dort — wie man sich erzählt, gerade beim
Kriegsspiel — schon im März des folgenden Jahres seine Berufung zum Nach-
folger des Ministers v. Stosch als Chef der Admiralität erhielt. Diese Berufung
wird damals Herrn v. Caprivi vielleicht noch schwerwiegender vorgekommen sein
als die spätere zum Reichskanzler. Er stand der Marine völlig fremd gegen-
über, er hatte nie Gelegenheit gehabt, parlamentarische Erfahrungen zu sammeln,
er wußte, daß ein Infanterist an der Spitze des Seewesens zum Spielball der
berechtigten und unberechtigten Kritik wird. Aber der Befehl und das Ver-
trauen des Allerhöchsten Kriegsherrn war für den Soldaten maßgebend.
Am 17. April 1883 beauftragte ihn der Kaiser auf Bismarcks Antrag
nach Maßgabe des Gesetzes vom 17. März 1878 (Reichs-Gesetzbl. S. 7) mit
der Stellvertretung des Reichskanzlers im Bereiche der Marineverwaltung. 1)
Die Entwicklung der deutschen Flotte in der Amtsführung des Generals
v. Caprivi liegt auf drei Gebieten: Erstens ist er der Schöpfer und Organisator
unseres heutigen Torpedowesens, dessen Entwicklung die Folge der Gesichts-
punkte bildet, welche Caprivi in seiner Denkschrift vom Jahre 1883 niederlegte,
und welche damals einen besonderen Aufwand von 17 Millionen erforderten.
Zweitens gebührt ihm das Verdienst einer erheblichen Vermehrung des Flotten-
personals in dem Sinne, daß für den Fall einer Mobilmachung der ganzen
1) In Kohls Bismarck-Regesten übersehenes Datum.