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Flotte die erforderliche Zahl von ausgebildeten Mannschaften zur Bemannung
auch dann vorhanden sein kann, wenn ein Teil der Bemannung vom politischen
Dienst der Schiffe in Anspruch genommen ist und danach für die Flotte in den
heimischen Gewässern nicht in Anrechnung gebracht werden kann. General
v. Caprivi griff, um den Sollstand zu decken, auf eine reichlichere Verwendung
der Landbevölkerung hinüber, als es bisher der Fall gewesen, weil die see—
männische Bevölkerung dafür nicht ausreichte, und nach des Generals eigenen
Erklärungen hat sich diese Maßregel durchaus bewährt. Im Zusammenhange
hiermit steht drittens die veränderte Ausbildung des Flottenpersonals, so ganz
besonders die jährlich angeordnete Ausrüstung eines besonderen Schulgeschwaders,
welches etwa ein halbes Jahr lang zur Uebung und Erweiterung der bereits
erlangten Ausbildung in fremden Gewässern zu kreuzen hat.
Das Jahr 1884 bildete den Anfang einer neuen großen Aufgabe für die
deutsche Flotte. Damals war es, daß die Kolonialpolitik ins Leben trat, und
obwohl General v. Caprivi noch in der oben genannten Denkschrift auf den
Mangel an ausgebildetem Personal hingewiesen, gelang es ihm doch, den so
plötzlich an ihn herangetretenen hohen Anforderungen gerecht zu werden,
ohne daß sich dabei eine Reibung oder gar eine Störung bemerkbar gemacht
hätte, denn nebenher erlitten die Uebungen in den heimischen Gewässern
keine Unterbrechung. Die Folge der Kolonialpolitik war zunächst eine größere
Zahl von Indienststellungen von Schiffen für den politischen Dienst, welche zum
Teil dauernd in den Kolonien stationirt wurden (Ost= und West-Afrika), zum
Teil, in ein Kreuzergeschwader vereinigt, bald hier bald da zu erscheinen hatten.
Im Jahre 1887 legte Caprivi dem Reichstag eine neue Denkschrift vor,
in welcher er zwar auf dem betretenen Wege zu verbleiben erklärte, jedoch be-
tonte, daß die inzwischen gemachten Erfahrungen zu neuen Anstrengungen führen
müßten. Durch diese Denkschrift erreichte Caprivi, daß ihm eine festgestellte
Summe zur Aufrechterhaltung der Kriegstüchtigkeit der Flotte auf die Dauer
bewilligt wurde, innerhalb des Rahmens, welchen er als den richtigen für die
Aufgabe der deutschen Flotte bezeichnete. Im übrigen verhehlte Caprivi nicht,
daß die deutsche Flotte, welche als eine solche zweiten Ranges mit der russischen
es müsse aufnehmen können, unter diesen Rang gesunken sei, und daß es des
Neubaues von schnellen Kreuzern und Avisos bedürfe, um wenigens den
notwendigsten Anforderungen zu genügen. Auch diese Forderungen wurden
bewilligt.
Während Caprivi auf diesen verschiedenen Gebieten seine Thätigkeit ent-
wickelte, erfuhr die deutsche Schlachtflotte keine Verstärkung. Man stand sogar
von dem Ersatz des gesunkenen „Großen Kurfürsten“ ab, und das Bemerkens-
werteste, was für die Schlachtflotte unter seiner Amtsführung geschehen, bildet
die Neupanzerung und Neubestückung des „König Wilhelm“, so daß dieses
Schlachtschiff inzwischen wieder auf der Höhe der Zeit angelangt ist.