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Kabinets gedacht habe, und zwar weil der damalige Reichskanzler zu jener Zeit,
als die Versöhnungspolitik noch nicht eingeführt war, sondern ein innerer Kampf
im Staatsinteresse unvermeidlich schien, in Herrn v. Caprivi den Mann zu sehen
glaubte, den liberalisirenden und zivilistischen Einflüssen im Ministerium eventuell
die Spitze zu bieten. 1)
Auch diese Kombination läßt ersehen, daß Bismarck vor seinem Rücktritt
nicht nur nichts gegen Caprivi hatte, sondern sogar viel von ihm hielt.
So wird denn auch versichert, daß sich Bismarck noch vor der Reise nach
Friedrichsruh verschiedenen Persönlichkeiten gegenüber mit Anerkennung über
die Tüchtigkeit und den festen Charakter seines Amtsnachfolgers geäußert
habe. 2)
Aber diese Stimmung hielt nicht lange an; man muß die sieben Bände
von Johs. Penzlers Werk: „Fürst Bismarck nach seiner Entlassung“ durchlesen,
um ermessen zu können, bis zu welchem Grade sich der Antagonismus zwischen
dem ersten und zweiten Reichskanzler steigerte. Wie tief die Gegensätze waren,
erhellt so recht deutlich aus einem Briefe, der erst nach Caprivis Ableben
bekannt wurde 3), und den der letztere an einen Redakteur des Berliner Tag-
blattes Namens Nikolai d. d. Montreux, 25. Februar 1895 richtete 1). Hier
heißt es:
„Aber so sehr ich mich über jeden Versuch einer Ehrenrettung des zweiten
Kanzlers freue, so muß ich es mir doch versagen, auf Ihren ersten Wunsch:
„Gesichtspunkte, von denen ich mich habe leiten lassen“ — einzugehen. Ich
würde Ihnen nur Bekanntes und öffentlich Ausgesprochenes sagen können, wenn
ich nicht Verhältnisse berühren wollte, die mich nicht allein angehen. Ein nicht
unerheblicher Teil meiner Motive hatte Bezug auf den Fürsten Bismarck, und
1) „Oamb. Nachr.“ v. 13. 4. 1892. Unverbürgt ist die Notiz in der „Westd. Ztg.“
Nr. 237 v. 9. 10. 93, wonach Caprivi vor Bismarcks Entlassung den Gegensatz zwischen
dem Kaiser und Bismarck verschärft habe.
2) Besprechungen über Caprivi aus Anlaß seiner Ernennung zum Reichskanzler findet
man in der „Westd. Ztg.“ Nr. 67 v. 20. 3. 90. „Berl. Börsen-Kurier“ Nr. 144 v.
20. 3. 90. „Berl. N. N.“ Nr. 151 v. 24. 3. 90. „Berl. Tagebl.“ Nr. 144 v. 20. 3. 90.
„Das Kleine Journal“ Nr. 78 v. 19. 3. 1890.
3) Zu vergl. auch die Nekrologe Caprivis in dem „Berliner Börsen-Courier“ No. 68
v. 7. 2. 99. „Magdeburgische Ztg.“ No. 69 v. 7. 2. 99. „Die Nation“ No. 20 v. 11.
2. 99. „Neue Freie Presse“ No. 12379 v. 7. 2. 99. „Berliner Tageblatt“ No. 68
v. 6. 2. 99 und No. 132 v. 17. 2. 99. „Kölnische Volkszeitung“ No. 122 v. 7. 2. 99.
„Hannoverscher Courier“ No. 21781 v. 7. 2. 99. „Nat.-Ztg.“ No. 87 v. 8. 2. 99.
„Köln. Ztg.“ No. 118 v. 11. 2. 99, Beiblatt No. 7 v. 13. 2 99. „St. Petersburger
Zeitung“ Nr. 31 v. 12. 2. 99. „Die Zukunft“ v. 11. 2. 99. „Dresdner Nachrichten“
No. 59 v. 28. 2. 99. „Münchener Neueste Nachrichten“ Nr. 89 v. 23. 2. 99. „Augs-
burger Abendzeitung“ Nr. 38 v. 7. 2. 99. «
4) Veröffentlicht mit anderen Briefen Caprivis im „Berliner Tageblatt“ No. 101
v. 24. 2. 99.