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mit Mühe zurückhaltend, um ein Nachschreiben überhaupt zu ermöglichen. Der
Reichtum seiner Gedanken und seiner Ausdrucksformen war so groß, daß er
häufig zwei, drei tautologische Wendungen vorbrachte und dann hinzufügte:
„Bitte, wählen Sie sich das Passendste aus“. Da man den Fürsten nie unter-
brechen durfte (er verlor dann seltsamerweise sofort den Faden), so war es
schwer für mich, ihm zu folgen. Bucher hatte es leichter gehabt, da er zu
stenographiren verstand. Mir gelang es nur selten, einen ganzen Satz
nachzuschreiben. Ich mußte mich meistens damit begnügen, nur die präg-
nantesten Wendungen, mitunter nur ein einziges Wort aus einem Satze
festzuhalten.
Nach dem vielbesprochenen Besuche Bennigsens in Varzin zwischen Weihnachten
und Neujahr des Jahres 1877 (ich war seit Anfang Oktober ununterbrochen
in Varzin gewesen und hatte mir einen längeren Weihnachtsurlaub erbeten,
wurde aber in den ersten Tagen des Januar telegraphisch zurückberufen) diktirte
mir der Fürst einen Bericht an den Kaiser, der nicht nur eine genaue Wieder-
gabe der Verhandlungen mit Bennigsen wegen seines Eintritts ins Ministerium
enthielt, sondern zugleich eine hochpolitische historische Darstellung der Entwicklung
unserer ganzen Parteiverhältnisse seit Einführung der Verfassung. Der Fürst
diktirte ununterbrochen fünf Stunden, sage und schreibe fünf Stunden! Er
sprach rascher, als gewöhnlich, ich hatte die größte Mühe, auch nur die leiten-
den Gedanken in abgerissener Form zu Papier zu bringen. Das Zimmer war
überheizt, ich geriet in Transpiration und fürchtete, einen Schreibkrampf zu be-
kommen. Rasch entschlossen und ohne ein Wort zu sagen, zog ich meinen
Rock aus, warf ihn über den Stuhl und fuhr in Hemdsärmeln fort zu
schreiben. Der Fürst, auf und nieder gehend, sah mich zuerst etwas erstaunt
an, nickte mir dann aber verständnisvoll zu und ließ sich im Diktiren nicht
unterbrechen.
Als ich nun an die Ausarbeitung des Berichtes ging — es wurde eine
kleine Broschüre — staunte ich über die tadellose Disposition des Ganzen.
Jede angeführte Thatsache und jede Schlußfolgerung stand an der richtigen
Stelle; es war eine schnurgrade Auseinandersetzung ohne Wiederholungen
und Seitensprünge. Das eben war das Bewunderungswerte in dem
geistigen Schaffen des Fürsten: er konnte wohl einmal aus der Konstruktion
des einzelnen Satzes fallen, fiel aber nie aus der logischen Folge der
Gedanken.
Die geistige Produktivität des Fürsten war so rastlos, daß sie auch beim
Lesen nicht ruhte. Er las immer mit dem Bleistift in der Hand. Selbst zu
den Leitartikeln der Zeitungen machte er seine Randbemerkungen und ver-
schwendete bisweilen die geistreichsten und witzigsten Glossen an die ephemeren
Leistungen eines beliebigen Tagesblattes. Aber nicht nur das. Er korrigirte
auch mit seinem Bleistift stilistische Inkorrektheiten oder Verstöße gegen die