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letzteres konnte noch wenige Tage vor Einbringung des von Rauchhauptschen
Antrages durchaus nicht gerechnet werden. Die Wortführer des Zentrums hatten
bei der ersten Beratung der Vorlage eine schroff ablehnende Haltung angenommen.
Herr Windthorst hatte ausdrücklich erklärt: „Auf dem Boden der diskretionären
Gewalt ist eine Verständigung unmöglich; wir haben nicht zehn Jahre gekämpft,
um nun, wo der Kampf sich zu Ende neigt, statt der in der Maigesetzgebung
geplanten gesetzlichen Vernichtung uns der Gnade und Ungnade eines ungewissen
Ministeriums zu ergeben.“ — Aehnliche Erklärungen waren von den Mitgliedern
des Zentrums in der Kommission abgegeben worden. Dann hatten die Debatten
über den Kultusetat einen Ton angenommen, welcher an die schlimmsten Zeiten
„des Kulturkampfes“ erinnert, und endlich war durch Einbringung des Windt—
horstschen Antrages, nach welchem das Lesen der Messe und das Spenden der
Sakramente unter allen Umständen straflos sein sollte, der Versuch gemacht, eine
wirkliche Bresche in die Maigesetzgebung zu legen. Es mußte daher überraschen,
als bekannt wurde, daß das Zentrum bereit sei, für den von Rauchhauptschen
Antrag zu stimmen, d. h. für eine Fassung des Gesetzes, welche die diskretionären
Vollmachten vom 14. Juli 1880 wiederherstellte und wesentlich erweiterte und
welche, indem sie die Handhabung verschiedener Maigesetze regelte, die Aner-
kennung der Rechtsgiltigkeit derselben zur Voraussetzung hatte. Mit dieser Zu-
stimmung zu dem Rauchhauptschen Antrage verließ das Zentrum die Ver-
teidigungslinie, welche es seit dem Beginn des Kulturkampfes hartnäckig festgehalten
hatte: die prinzipielle Negierung der Maigesetze. Es stellte sich auf den Boden
der letzteren, es legte die schneidige Waffe, die es in seinem abstrakten non
bossumus hatte, zum erstenmal aus der Hand, um nach praktischen Rück-
sichten an der kirchenpolitischen Gesetzgebung mitzuwirken, und — es unterwarf
sich der diskretionären Gewalt der Staatsregierung. Die politische Bedeutung
dieser Thatsache ist, meines Erachtens, nirgends genügend gewürdigt worden.
Man hat sich liberalerseits die größte Mühe gegeben, den neulichen Kompromiß
zwischen Konservativen und Zentrum als einen Rückzug der ersteren darzustellen;
in Wirklichkeit bedeutet der Kompromiß einen Rückzug des Zentrums.
Was nun die einzelnen Punkte des von Rauchhauptschen Antrages betrifft,
so schlossen sich dieselben im wesentlichen der Regierungsvorlage an. Art. 1
stellte die außer Wirksamkeit getretenen diskretionären Vollmachten des Gesetzes
vom 14. Juli 1880 wieder her, welche die Dispensierung der Bistumsverweser
vom Eide, die kommissarische Vermögensverwaltung und die Wiederaufnahme
eingestellter Staatsleistungen für den Umfang eines Sprengels betrafen. Art. 3
hob das sogenannte Kulturexamen auf, das sich in der Praxis lediglich als
eine ebenso drückende wie nutzlose Belästigung der evangelischen Kandidaten der
Theologie erwiesen hatte. Art. 4 beseitigte das Institut der Staatspfarrer, die
unglücklichste Schöpfung der Maigesetze, deren Unhaltbarkeit, wie ich glaube,
von allen Parteien anerkannt wird. Art. 2 endlich, der bestrittenste Punkt,