Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Fünfter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1881-1900). (5)

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letzteres konnte noch wenige Tage vor Einbringung des von Rauchhauptschen 
Antrages durchaus nicht gerechnet werden. Die Wortführer des Zentrums hatten 
bei der ersten Beratung der Vorlage eine schroff ablehnende Haltung angenommen. 
Herr Windthorst hatte ausdrücklich erklärt: „Auf dem Boden der diskretionären 
Gewalt ist eine Verständigung unmöglich; wir haben nicht zehn Jahre gekämpft, 
um nun, wo der Kampf sich zu Ende neigt, statt der in der Maigesetzgebung 
geplanten gesetzlichen Vernichtung uns der Gnade und Ungnade eines ungewissen 
Ministeriums zu ergeben.“ — Aehnliche Erklärungen waren von den Mitgliedern 
des Zentrums in der Kommission abgegeben worden. Dann hatten die Debatten 
über den Kultusetat einen Ton angenommen, welcher an die schlimmsten Zeiten 
„des Kulturkampfes“ erinnert, und endlich war durch Einbringung des Windt— 
horstschen Antrages, nach welchem das Lesen der Messe und das Spenden der 
Sakramente unter allen Umständen straflos sein sollte, der Versuch gemacht, eine 
wirkliche Bresche in die Maigesetzgebung zu legen. Es mußte daher überraschen, 
als bekannt wurde, daß das Zentrum bereit sei, für den von Rauchhauptschen 
Antrag zu stimmen, d. h. für eine Fassung des Gesetzes, welche die diskretionären 
Vollmachten vom 14. Juli 1880 wiederherstellte und wesentlich erweiterte und 
welche, indem sie die Handhabung verschiedener Maigesetze regelte, die Aner- 
kennung der Rechtsgiltigkeit derselben zur Voraussetzung hatte. Mit dieser Zu- 
stimmung zu dem Rauchhauptschen Antrage verließ das Zentrum die Ver- 
teidigungslinie, welche es seit dem Beginn des Kulturkampfes hartnäckig festgehalten 
hatte: die prinzipielle Negierung der Maigesetze. Es stellte sich auf den Boden 
der letzteren, es legte die schneidige Waffe, die es in seinem abstrakten non 
bossumus hatte, zum erstenmal aus der Hand, um nach praktischen Rück- 
sichten an der kirchenpolitischen Gesetzgebung mitzuwirken, und — es unterwarf 
sich der diskretionären Gewalt der Staatsregierung. Die politische Bedeutung 
dieser Thatsache ist, meines Erachtens, nirgends genügend gewürdigt worden. 
Man hat sich liberalerseits die größte Mühe gegeben, den neulichen Kompromiß 
zwischen Konservativen und Zentrum als einen Rückzug der ersteren darzustellen; 
in Wirklichkeit bedeutet der Kompromiß einen Rückzug des Zentrums. 
Was nun die einzelnen Punkte des von Rauchhauptschen Antrages betrifft, 
so schlossen sich dieselben im wesentlichen der Regierungsvorlage an. Art. 1 
stellte die außer Wirksamkeit getretenen diskretionären Vollmachten des Gesetzes 
vom 14. Juli 1880 wieder her, welche die Dispensierung der Bistumsverweser 
vom Eide, die kommissarische Vermögensverwaltung und die Wiederaufnahme 
eingestellter Staatsleistungen für den Umfang eines Sprengels betrafen. Art. 3 
hob das sogenannte Kulturexamen auf, das sich in der Praxis lediglich als 
eine ebenso drückende wie nutzlose Belästigung der evangelischen Kandidaten der 
Theologie erwiesen hatte. Art. 4 beseitigte das Institut der Staatspfarrer, die 
unglücklichste Schöpfung der Maigesetze, deren Unhaltbarkeit, wie ich glaube, 
von allen Parteien anerkannt wird. Art. 2 endlich, der bestrittenste Punkt,
	        
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