Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Zweiter Band. Der Bundesrat des Zollvereins (1868-1870) und der Bundesrat des Deutschen Reichs (1871-1873). (2)

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Sonderinteressen bezeichnen möchte, und wir halten diesem Berufe des Bundes- 
rats gerade das Wort „Bundesrat für entsprechend, während wir befürchtet 
haben, durch das Wort Reichsrat die staatsrechtliche Stellung dieser Korporation 
zu verdunkeln und nicht mit dem richtigen Namen zu bezeichnen." 
Das Gegengewicht gegen die Gefahren des allgemeinen Stimmrechts sollte 
nach der Ansicht Bismarcks nicht in der Einführung des Zweikammersystems 
gesucht werden. Das haben wir im Bundesrate. „Ich weiß nicht“ — führte 
Bismarck in einer hochbedeutsamen Rede vom 19. April 1871 aus — „was die 
Herren bewegt, den Bundesrat in den gesetzgebenden Faktoren nicht mitzuzählen; 
die Verfassung weist ihm die volle Gleichberechtigung an, und wenn ich sage, 
er wiegt schwerer als ein gewöhnliches erstes Haus, so ist das, weil er zugleich 
ein Staatenhaus im vollsten Sinne des Wortes ist, in viel berechtigterem Sinne, 
als was man gewöhnlich Staatenhaus nennt, was zum Beispiel in der Erfurter 
Verfassung Staatenhaus genannt wurde. Dort stimmte im Staatenhaus nicht 
der Staat, sondern das Individuum ab; es war jemand ernannt worden — 
ich weiß nicht, ob auf Lebenszeit oder auf limitirte Dauer —, aber ich erinnere 
mich genau, er stimmte nicht nach Instruktionen, sondern nach seiner Ueberzeugung 
ab. So leicht wiegen die Stimmen im Bundesrate nicht; da stimmt nicht der 
Freiherr v. Friesen, sondern das Königreich Sachsen stimmt durch ihn; nach 
seiner Instruktion gibt er ein Votum ab, was sorgfältig destillirt ist aus all 
den Kräften, die zum öffentlichen Leben in Sachsen mitwirken; in dem Votum 
ist die Diagonale aller der Kräfte enthalten, die in Sachsen thätig sind, um 
das Staatswesen zu bilden; es ist das Votum der sächsischen Krone, modifizirt 
durch die Einflüsse der sächsischen Landesvertretung, vor welcher das sächsische 
Ministerium für die Vota, welche es im Bundesrat abgeben läßt, verantwortlich 
ist. Es ist also recht eigentlich das Votum eines Staates, ein Votum in einem 
Staatenhaus. Analog ist es — ich habe Ihnen dies Beispiel von Sachsen 
nur genannt — in den Hansestädten, in den republikanischen Gliedern: es ist 
das ganze Gewicht der Bevölkerung einer reichen, großen, mächtigen, intelligenten 
Handelsstadt, was sich Ihnen in dem Votum der Stadt Hamburg im Bundes- 
rat darstellt, und nicht das Votum eines Hamburgers, der nach seiner persön- 
lichen Ueberzeugung so oder so votiren kann; die Vota im Bundesrat nehmen 
für sich die Achtung in Anspruch, die man dem gesamten Staatswesen eines 
der Bundesglieder schuldig ist. Und das halte ich für außerordentlich schwer- 
wiegend, und diese Bedeutung macht sich unbewußt ja in uns längst fühlbar. 
Einem Votum von fünfundzwanzig einzelnen Herren würden Sie nicht das 
Ansehen beimessen, dessen der Bundesrat sich glücklicherweise erfreut; aber dem 
Votum von fünfundzwanzig Staaten, wo jeder der Herren hier einem derselben 
angehört, und von lauter Staaten, die sich einer freien parlamentarischen Ver- 
fassung erfreuen, wo die Abstimmungen der einzelnen recht eigentlich den Aus- 
druck der Gesamtheit dessen, was man früher sagte, Völker, jetzt will ich nur
	        
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