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genommen habe, in das Gebiet der Geschichtsfälschungen zu verweisen. Trotz
des unaufhörlichen Drängens des Gesandten von Arnim, wofür sich in den
Akten zahlreiche Belege vorfinden, hat die preußische Regierung eine strikte
Zurückhaltung in dieser dogmatischen Frage für angezeigt gehalten und durch
dieselbe keine Trübung ihres bisherigen guten Verhältnisses zum Papst eintreten
lassen. Eine solche ist erst erfolgt durch die in den später veröffentlichten De—
peschen charakterisirte Verstimmung gegenüber der römischen Diplomatie, nachdem
die Kurie sich geweigert hatte, der Regierung gegen die Angriffe des zunächst
noch mit Mißbrauch der päpstlichen Autorität auftretenden Zentrums beizustehen.
Der ganze weitere Verlauf der Angelegenheit zeigt aber, daß es sich seitens des
Reichskanzlers in dem Kulturkampf nur um eine Unterbrechung des Friedens, um
einen zeitweisen Kriegszustand handelte, keineswegs aber darum, den letzteren
zu einer dauernden Institution zu gestalten, und daß der Beginn des Kampfes
identisch ist mit der Parteinahme der päpstlichen Politik für das Zentrum und
mit dem Bündnis zwischen dem Papste Pius IX. und dieser regierungsfeind-
lichen Partei. Von derselben war in Rom der Kampf gegen die Regierung
im April und Mai 1871 vorbereitet worden; der eigentliche Anfang desselben
datirt vom 23. Juni 1871, an welchem Tage der Kardinal-Staatssekretär
Antonelli dem Grafen Tauffkirchen gegenüber es ablehnte, dem feindlichen Auf-
treten des Zentrums gegen das Reich Einhalt zu gebieten. Dieser Akt der
Feindseligkeit seitens der Kurie wurde von der preußischen Regierung durch die
Ordre vom 8. Juli 1871 erwidert, durch welche die katholische Abteilung im
Kultusministerium aufgehoben wurde. In dieser Weise begann eine durch diplo-
matische Verhandlungen mit dem Verlauf in pejus sich vorbereitende Kampf-
periode, die mit dem Zeitpunkt abschloß, als infolge des Regierungswechsels
auf dem päpstlichen Thron die Wiederherstellung des Friedens versucht und
angebahnt werden konnte.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß der Reichskanzler wiederholt den
Konservativen vorgehalten hat, wie ganz anders ohne ihren Abfall der Kultur-
kampf (und die Reichsgesetzgebung) sich gestaltet haben würde. Von der kon-
servativen Partei verlassen, mußte die Regierung anderweitig die Unterstützung
suchen, deren sie zur Erhaltung und Belebung der neuen Reichsinstitutionen be-
durfte, und sie fand sie bei den Nationalliberalen. In Verbindung mit diesen
aber war sie genötigt, den Kampf gegen den Ultramontanismus nach einer
andern Taktik zu führen, als sie es an der Spitze der konservativen Partei
gekonnt hätte. Als Fürst Bismarck mit Dr. Falk in Konflikt kam, dem er
nicht bis zum Zivilehegesetz folgen wollte, dessen Drohung mit Demission er
aber nachgab, schrieb er in einem Privatbriefe an Herrn v. D.: „Auf Ihr ge-
fälliges Schreiben, in welchem Sie Ihren Gedanken bezüglich der Wirkungen
der Zivilstandsgesetze einen erneuerten Ausdruck geben, beehre ich mich ergebenst
zu erwidern, daß in dem Stadium, in welchem sich die Angelegenheit befindet,