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Urteils in dieser traurigen Angelegenheit erleichterte schließlich den Triumph der
angegriffenen Verwaltung, des „Systems Stosch“, wie man es seit dieser Zeit
nannte. Ernste Blätter behaupteten damals, Bismarck habe die leichte Beruhigung
des Reichstags in Sachen der Schiffskatastrophe nicht geteilt. „Wir haben eine
Flotte“ — bemerkte er ein anderesmal dem Abgeordneten Grafen Fred Franken-
berg gegenüber — „die nicht fahren kann, und dürfen deshalb keine verwundbaren
Punkte in fernen Weltteilen haben.“ Infofern war das System Stosch daran
schuld, daß Bismarck erst verhältnismäßig so spät an die Erwerbung deutscher
Kolonien heranging.
Im Jahre 1875 hatte der Chef der Admiralität v. Stosch gegen das
Reichskanzler-Amt einen monatelangen Kampf darüber geführt, daß er mit
weniger als zweiunddreißig Millionen für den Marineetat nicht durchkommen
könne. Nachdem dann durch die von dem Minister Delbrück angerufene ver-
fassungsmäßige Entscheidung des Reichskanzlers die Summe auf achtundzwanzig
Millionen ermäßigt war, von denen ungefähr achtzehn Millionen durch vor-
handene Restfonds gedeckt und zehn Millionen in den Etat eingestellt wurden,
hatte Delbrück die letztgenannte Summe in loyaler Weise und mit Einsetzung
seiner ganzen Persönlichkeit im Reichstage verteidigt. Es mußte daher auf das
außerordentlichste befremden, daß Stosch auf die bescheidene Aeußerung eines
liberalen Abgeordneten in der Budgetkommission, daß die Marine auch mit
vierdreiviertel Millionen zufrieden sein könnte, sofort und ohne weiteres eine
Ermäßigung um etwa fünfeinviertel Millionen zugestand. Delbrück fühlte sich
durch dieses ihn kompromittirende Verhalten seines Kollegen mit Recht verletzt und
erklärte dem Reichskanzler, angesichts eines solchen désaveu nicht länger im Amte
bleiben zu können. Es gelang indessen dem Fürsten Bismarck, den Minister
Delbrück zu beschwichtigen und ihn trotz des gegen ihn von dem Chef der
Admiralität gerichteten offenen Angriffs zum Bleiben zu bewegen.
In der Sitzung des Reichstags vom 10. März 1877 machte Bismarck von
dieser Differenz mit Stosch Mitteilung. Infolge dieser Rede entstand zwischen
Bismarck und Stosch ein offener Bruch, über den sich der erstere auf der parla-
mentarischen Soirée vom 17. März 1877 1) ohne Rückhalt äußerte. — Der durch
seine (des Kanzlers) Rede beleidigte General habe eine schriftliche Erklärung
gefordert, daß der Fürst ihn nicht habe beleidigen wollen, und daß seine Dar-
stellung des Verhältnisses zwischen ihm und dem Chef der Admiralität keine voll-
kommen zutreffende gewesen sei. Fürst Bismarck machte seinen Gästen gegenüber
kein Hehl daraus, daß er die gewünschte Erklärung nicht abgeben werde, da er
nicht gesonnen sei, in dem Streite mit Stosch nachzugeben. Bei dieser Sachlage
glaubte jedermann, daß der definitive Rücktritt des Generals v. Stosch unver-
meidlich sei.
— 1) Vergleiche mein Werk „Fürst Bismarck und die Parlamentarier“ Bd. I. (2. Aufl.)
128 f.