Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Zweiter Band. Der Bundesrat des Zollvereins (1868-1870) und der Bundesrat des Deutschen Reichs (1871-1873). (2)

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Begründung des Reichs in den Händen der ständig in Berlin anwesenden 
Mitglieder. Die Grundlage für deren Verhalten bildeten stets die von der 
Regierung gegebenen Instruktionen. Diese waren in richtiger Erkenntnis der 
Verhältnisse so abgefaßt, daß dem Vertreter hinreichend freier Spielraum zur 
selbständigen Mitwirkung bei den in den Sitzungen hervortretenden Anträgen 
und Gegenanträgen u. s. w. gegeben war. Die kluge und den Intentionen 
der Staatsregierung entsprechende Benutzung dieser Befugnis, die Verwertung 
der sozialen Stellung zur Gewinnung von Bundesgenossen u. s. w. war somit 
für die ersprießliche Thätigkeit eines Bevollmächtigten von hohem Werte. 
Von dem Augenblicke an, als die Arbeiten des Bundesrats beziehungsweise 
des Reichstags sich in größerem und wichtigerem Maße auf die Ressorts der 
Justiz und des Innern ausdehnten, wurden zu vorübergehendem Aufenthalte in 
Berlin besondere Beamte, sogenannte stellvertretende Bevollmächtigte abgeordnet. 
Mit Ausnahme des später zu erwähnenden Justizministers v. Fäustle, welcher 
zum Zweck der Beteiligung an den Beratungen der Justizgesetze mehrmals längere 
Zeit in Berlin verweilte, war die Anwesenheit der bayerischen Minister nur eine 
ganz vorübergehende, deren Anlaß entweder eine besonders wichtige Frage, zum 
Beispiel das Jesuitengesetz, oder nur etwa Repräsentationspflicht war. Abgesehen 
von diesen Spezialfällen kann somit von einer Thätigkeit der gedachten Minister 
im Bundesrate nur insoweit gesprochen werden, als dieselben bei der Feststellung 
und Erteilung der Instruktionen mitgewirkt haben. 
Die Anwesenheit des Ministers v. Pfretzschner in Berlin erfolgte meines 
Wissens nur dreimal, und zwar in den Jahren 1871, 1874 und 1878. Daß 
er bei solcher Gelegenheit die bayerische Stimme und in Abwesenheit Bismarcks 
den Vorsitz im Bundesrat führte, versteht sich von selbst. 
Bei der am 122. März 1871 aus Anlaß des kaiserlichen Geburtstags 
seitens des Bundesrats erfolgten Beglückwünschung des Kaisers war Freiherr 
v. Pfretzschner der Wortführer. Nachdem derselbe seine Ansprache geendet, trat 
der Kaiser in die Mitte der Herren, dankte für die ihm dargebrachten Glück— 
wünsche, dankte dem Bundesrate für dessen bisherige aufopfernde Thätigkeit und 
nahm seine fernere Mitwirkung bei dem inneren Ausbau des Deutschen Reiches 
in Anspruch. Der Kaiser fügte hinzu, er habe nicht gesucht, an die Spitze 
Deutschlands zu treten; er sei sich bewußt, eine schwere Verantwottlichkeit auf 
sich geladen zu haben. Er wolle aber allen seinen Willen, all seine Kraft ein- 
setzen, um die übernommenen Pflichten zu erfüllen. 
Das gute Verhältnis zwischen Bismarck und Pfretzschner beweisen die 
wiederholten Besuche desselben bei Gelegenheit der Anwesenheit des Kanzlers in 
Kissingen (25. Juli 1874, 23. Juni 1877, 22. bis 24. Juli 1878) und das 
Schreiben, das der letztere an Pfretzschner aus Anlaß seines Rücktritts richtete. 1) 
1) Bismarck bedauerte darin den Rücktritt lebhaft. Vgl. die „Post“ 1880 Nr. 77.
	        
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