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eine große Anzahl anderer Fragen, welche namentlich die Gestaltung der Dinge
nach dem Tode des Kaisers Wilhelm berührten. „Mag auch“ — so bemerkte
Herr v. Nostitz kurze Zeit darauf — „die Herrschsucht des Fürsten Bismarck,
seine Ungeduld, seine Unduldsamkeit gegen jeden Widerspruch vielfach verstimmen
und Unzufriedenheit und Gegensatz hervorrufen, welche Pygmäen sind doch seine
politischen Widersacher gegen den Riesen! Schon die meisterhafte, zielbewußte,
weit ausschauende Art, mit der er seit vierzehn Jahren die auswärtige Politik
des Deutschen Reichs geleitet, Deutschland und der Welt den Frieden bewahrt
hat, sichern ihm die Anerkennung des deutschen Volkes und ganz Europas auf
lange Zeit hinaus. Auch sein Streben, die Macht der Regierungen vor den
Einflüssen des querköpfigen, kurzsichtigen Parlamentarismus und dem Streber-
tum der parlamentarischen Führer möglichst sicher zu stellen, verdient nur den
Beifall aller, die es wohl mit Deutschland meinen. Den Deutschen thut es
vor allem not, sich als Nation zu fühlen und als solche zusammenzuwachsen,
ein Gesichtspunkt, welcher bei dem Parteigezänke nur zu oft aus den Augen
schwindet.“ Und am Schlusse desselben Jahres bemerkt Herr v. Nostitz im
Hinblick auf den Reichstagsbeschluß vom 15. Dezember 1884, welcher dem
Kanzler das Gehalt für einen zweiten Direktor im Auswärtigen Amt verweigerte:
„Fürst Bismarck hat in den letzten Jahren durch die Herbeiführung eines innigen
Verständnisses zwischen den drei Kaisermächten durch die Zusammenkunft in
Skierniewice im September dieses Jahrs, durch die Anbahnung eines freund-
schaftlichen Verhältnisses mit Frankreich und durch die ebenso geschickt wie vor-
sichtig getroffenen Einleitungen zur Erwerbung deutscher Kolonien und noch in
letzter Zeit durch die Einberufung einer Konferenz behufs friedlicher Verständigung
über die bei der europäischen Ansiedlung am Kongo entstehenden Fragen seine
Meisterschaft in Leitung der auswärtigen Politik wieder in so hervorragender
Weise bewährt, daß die Nation eine nörgelnde Opposition und die Beschneidung
der Mittel zur Aktion auf dem Felde der auswärtigen Politik nicht versteht.“
Am 17. Januar 1885 reiste v. Nostitz nach Erlangen zur Heilung eines
Darmleidens, welchem er sechs Wochen darauf erlag.
Mit Nostitz verlor der Bundesrat unzweifelhaft einen seiner bedeutsamsten
Köpfe. Ihm waren Gaben eigen, die sich nicht so leicht wieder bei einem andern
Mitgliede desselben vereinen: treue Anhänglichkeit an sein engeres Vaterland,
aber weit entfernt von engherzigem Partikularismus, daneben ein warmes Herz
für Deutschland, die größte Gewissenhaftigkeit in Erfüllung seines dienstlichen Be-
rufes, gepaart mit einem großen politischen Blick, ein durch und durch ehrlicher
Charakter, dem alles Strebertum ferne lag, eine innerlich harmonische Natur, die
ihre Befriedigung im Verkehr mit den hochgebildeten deutschen Kollegen im Bundes-
rat fand. In den Bundesratsdebatten griff er als geschickter Debatter und
gewandter Dialektiker ein, stets neue Gesichtspunkte zu Tage fördernd,
immer nur die Sache im Auge habend und niemals persönlich werdend.