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Mit dem Wunsch einer Dreiviertelmehrheit für Verfassungsänderungen sei
der Redner (Mittnacht) also nach München gegangen, wo sich nun heraus-
gestellt, daß Bayern für sich verlangte, daß ihm erstens bezüglich aller eine
Erweiterung der Bundeskompetenz und zweitens aller das Stimmrecht sowie
die Sonderstellung Bayerns betreffenden Verfassungsänderungen ein Veto ein-
geräumt werde. Dieses speziell bayerische Veto wäre, zum mindesten gesagt,
doch sehr eigentümlich gewesen, und Redner habe deshalb alsbald ein gemein-
sames Veto einiger weniger Bundesglieder gegen Verfassungsänderungen befür-
wortet. Außerdem aber habe er auch den Gedanken angeregt, ob nicht in die
Verfassung eine besondere Bestimmung aufgenommen werden sollte des Inhalts,
daß Kompetenzerweiterungen im einzelnen Fall zugelassen werden sollten
unter Wahrung der für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Formen, eine
Bestimmung, die sich schon im § 63 der deutschen Reichsverfassung vom März
1849 fand. Einen auf dieses letztere gehenden Zusatz habe Mittnacht auch in
Versailles bei den Verhandlungen angeregt. „Dieser Zusatz wurde dann aber
schließlich nicht beigefügt deshalb, weil von anderer Seite in einem solchen
Zusatz eine gar zu direkte Einladung zu Verfassungsänderungen erblickt wurde."
Bei jenen Versailler Konferenzen waren aber die Vertreter des Norddeutschen
Bundes, Württembergs, Badens und Hessens ausdrücklich darin einig, daß unter
Verfassungsänderungen auch Kompetenzerweiterungen zu verstehen und
die besondere Erwähnung dessen in dem Verfassungsvertrage überflüssig sei.
Dies sei bei Art. 4 besprochen worden. Bei Art. 78 sei dann die etwaige
Modifikation der Reservatrechte zur Sprache gekommen. Daß solche nur mit
Zustimmung des beteiligten Staates erfolgen könne, wurde zwar für selbstver-
ständlich erklärt, aber auch noch protokollarisch festgestellt. Von einer Zu-
stimmung der Landesvertretungen war, soviel sich Mittnacht erinnern
zu können glaubte, nicht die Rede.
So oft Mittnacht von 1868 an nach Berlin kam, und dies war jährlich
zwei= bis dreimal, war derselbe der freundlich aufgenommene Gast an Bismarcks
Tafel, und bekannt ist die Gepflogenheit des Kanzlers, nach Tisch mit seinen
Gästen alle wichtigeren aktuellen Fragen durchzusprechen. Außerhalb Berlins
besuchte Mittnacht den Reichskanzler 1875 in Varzin, 1879 in Gastein unmittel-
bar vor der Reise Bismarcks nach Wien,") verschiedenemale in Friedrichsruh,
einmal in Kissingen.
Zum siebenzigjährigen Geburtstag Bismarcks (1. April 1885) spielte sich beim
Frühschoppen im Kanzlerpalais eine reizende Scene ab. Mittnacht nahm bei
seinem Toaste der Fürstin Bismarck gegenüber Aufstellung und sprach eine Zeit
lang von all den deutschen Volksstämmen, die hier vertreten seien, von Vandalen,
Märkern und Alemannen. Studentenverbindungen dieser Namen hatte er wohl
1) Beide Besuche sind in Kohls Bismarck-Regesten nachzutragen.