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krank. Auch die Drohung, wenn man uns nicht gegen Zahlung ein Gefährt
stelle, werde solches requirirt, verfing nicht, weil die Stellung auch im Zwangs-
wege unter die Regel fiel: Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren.
Da trat der Oberst herein: „Meine Herren, Sie haben Wagen und Pferde“.
Ehe wir Meaux verlassen, erwähne ich noch die vielen schönen Parks mit
hübschen Landhäusern im Stil Louis' XV., zum Teil mit großen Schlössern,
an denen wir vorüber fuhren. Sie sind sämtlich, wie auch kleinere Anwesen,
von Mauern umgeben und spielen in den Kämpfen, wie zum Beispiel um Metz,
als kleine befestigte Stellungen eine Rolle. Wir fanden deren am folgenden
Tag mit Schießscharten förmlich zur Verteidigung eingerichtet. Die Gegend
ist hübsch; die bei uns wenig kultivirte Schwarzpappel, hoch, schlank, jetzt mit
gelblichem Laube, nicht so spitz und einförmig wie unsere Silberpappel, spielt
eine große Rolle. Die Wälder sind meist Buchenwälder. Der Boden ist hügelig,
ohne entschiedene Berge. Die Straßen sind schön und gut, meist förmliche
Alleen, welche geraden Wegs bergauf und bergab gehen. Ueberall flattern
Elstern, die schwarz-weißen Vögel, welche den Einzug der preußischen Fahne
längst vorher verkündeten, und von denen mich wundert, daß sie noch existiren
und nicht als preußische Spione herabgeschossen sind.
In Lagny mußten wir die Pferde ruhen lassen und suchten vergeblich nach
einem andern zweiräderigen Einspänner für das Gepäck. — Während wir im
Hotel Bohnen und Kartoffeln aßen (die boucherie arbeite nur für die Truppen
und es sei kein Fleisch zu haben), nahte sich ein Luftballon mit Gondel. Ob-
gleich er so nahe kam, daß er in der Größe des Mondes erschien, trafen ihn
Schüsse nicht. Einwohner und Soldaten verfolgten ihn neugierig: „Wir kriegen
ihn! Hat ihm schon!“ sagte im Restaurant ein Offizier. „Vous croyez
toujours avoir la victoire — mais nous l’aurons à la fin“ — gab eine
Aufwärterin schnippisch zur Antwort.
Um 2 ½ Uhr fuhren wir von Lagny weiter. Wir hatten von diesem
gerade östlich von Paris gelegenen Städtchen die heilige Weltstadt südlich zu
umfahren, um im Bogen zu dem westlich gegenüber gelegenen Versailles zu
kommen. Wir mußten einerseits der Stadt so fern bleiben, daß wir nicht in
die Ausfälle und Gefechte hineingerieten, andererseits so nahe, daß wir noch
innerhalb der deutschen Aufstellungen blieben und nicht den außerhalb sich umher-
treibenden Franctireurs begegneten.
Bis Pontault standen Württemberger. Diese waren in der vorigen Nacht
bei Emerinville (zwischen Les Gres und Tournaut) von Franctireurs angegriffen
worden, wollten heute wieder solche „Blaublusen“ gesehen haben: „Die wellet
mer schon fange!“"
Während bis Lagny die Felder ziemlich geschont waren, mehrten sich hier
in zertretenen und verlegenen Aeckern kleine Stroh= und Laubhütten, zerbrochene
Flaschen, umhergestreute Papierumhüllungen von Liebesgaben, die Spuren von