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Als die Truppen hier zuerst einzogen, waren die meisten Häuser leer, voll-
ständig ausgeräumt. Da bemerkte einige Tage später ein durchziehender Pionier=
offizier, daß die Rebpflanzungen frisch umgegraben waren, was sonst um diese
Jahreszeit nicht zu geschehen pflegt, auch steckten die Rebstöcke etwas unordentlich
darauf; man forschte nach, und siehe, die Möbel und Habe der Einwohner
fand sich unter den künstlichen Rebpflanzungen, Betten, Kanapees und Stühle
kamen unter der Erde hervor. Seither machen es sich die Soldaten bequemer.
Gegen 3 Uhr fuhren wir in Versailles ein. Erstmals seit fast vier Monaten
hörte ich wieder Militärmusik, bei deren Klang ein preußisches Bataillon bei
der „Place d'Armes“ vor dem Schloß aufmarschirte. Sie klang schön in
dieser Umgebung.
Boulevard du Roi Nr. 3 war unser Ouartier. Die Wohnung ziemlich
elegant — Staub und Schmutz waren bald beseitigt; ein Schlosser öffnete die
verschlossene Kommode, damit ich meine Sachen einräumen konnte. Alles andere
ließ und lasse ich verschlossen.
Einen Drachen von Weib, das Frau v. J. als Hüterin zurückließ, und
das, je bescheidener und anspruchsloser ich auftrat, um so mehr gegen das Nötigste
opponirte und räsonnirte, brachte ich mit der Erklärung zur Ruhe: „Ich bin
nicht nach Versailles gekommen, um mit bösen Weibern zu händeln; ich werde
angeben, was ich brauche; Sie werden das thun, und wenn nicht, gquartiere
ich mich aus und empfehle Sie dem Kommando für ein Dutzend Mann Ein-
quartierung, die besser mit Ihnen zu Streich kommen werden.“ Seitdem ist
Bettwäsche, Licht und Feuer angekommen. Kaffee besorgt mir die Concierge,
zu essen pflege ich im „Hotel des Reservoirs“ und im übrigen ist Ruhe.
Ich verlangte noch, daß die Fenster, welche ganz trübe waren, geputzt
würden. Bald darauf erschien ein eleganter Herr im Cylinderhut: „Le vitrier,
Monsieur,“" führte er sich ein. — Nachdem die Fenster gereinigt waren, stellte
er eine Rechnung auf, für jede Scheibe 1 Franken, also fast 10 Franken für
ein Fenster. Das erhielt er natürlich nicht.
Der Transport unseres Gepäcks hatte uns unterwegs viel Schwierigkeit
gemacht. Wir bedurften stets zu dessen Beförderung eines zweiten Wagens,
der schwer aufzutreiben war. Ich hatte zwar nur das Nötigste bei mir und
wunderte mich im stillen, was wohl J. und H. alles mit sich führten in den
verschiedenen großen und kleinen Koffern. Nun kommt heraus, daß auch sie
nicht recht begreifen konnten, warum ich mit solch übermäßigem Gepäck nach
Versailles ziehe. Bei der Verteilung bleiben zwei große Koffer und zwei Hut-
schachteln übrig, die unsere Diener in allzu großem Eifer, jeder vermeinend, sie
gehören dem andern Herrn, in Straßburg fälschlich aufgepackt hatten. Wir
telegraphiren zurück und fragen, was zu machen sei. Antwort: „Sehr erfreut,
daß die Koffer endlich gefunden, sie gehören zwei Engländern, die nach Nizza
gehen, um den Winter dort zu verbringen. Sie wollten zuerst ohne ihr Gepäck