Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Zweiter Band. Der Bundesrat des Zollvereins (1868-1870) und der Bundesrat des Deutschen Reichs (1871-1873). (2)

— 195 — 
bemerkt, hauptsächlich die Liebe und Treue für seinen Herrn, den er nicht nach 
zwanzigjähriger Dienstleistung als Minister jetzt in die Lage versetzen könne, in 
seinem fünfundachtzigsten oder sechsundachtzigsten Jahre sich an neue Ratgeber 
noch zu gewöhnen. 
„Deshalb werde er auch im Angesicht der heutigen Sachlage ausharren und 
weiter versuchen, wie die Sache vielleicht im Sinn der neuesten Wahlergebnisse 
fortzuführen sein werde. In der Weise, wie sich manche die Sache zu denken 
schienen, werde es allerdings nicht gehen. Dazu, daß er sich zwingen lasse, 
gleichsam in den Dienst einer Fraktion einzutreten, dieser gewissermaßen als 
Hausknecht oder als Mädchen für Alles dienstbar zu werden, vielleicht sich auf 
sein Altenteil der auswärtigen Politik zurückzuziehen, von welcher auch seine 
Gegner allenfalls noch anerkennen, daß er einiges verstehe, während seine Ge— 
danken über innere Politik als verwerflich bezeichnet würden — davon könne 
keine Rede sein. Aber vielleicht ließe sich in dem Gesetz über die Stellvertretung 
des Reichskanzlers ein möglicher Ausweg finden. Er werde zunächst einmal 
einige Sitzungen des Reichstags abwarten und zusehen, wie dieser sich zu dem 
bei der Eröffnung bekannt zu gebenden Programm stelle. Verhalte sich eine 
geschlossene Majorität dagegen ablehnend, so könne er ja einmal mit den Führern 
der stärksten Parteien Rücksprache nehmen. Er könne zum Beispiel Herrn 
v. Franckenstein anbieten, die Stelle als Staatssekretär anzunehmen und dem 
Reichstag vorschlagen, einige Reichsminister mit je etwa 20 000 Mark zu 
dotiren." 
Es ist, wie gesagt, schwierig, die Linie zu ziehen, wie weit diese vertrau- 
lichen Tischgespräche eine ernste Grundlage haben, und allenfalls nur die 
Schatten künftiger Gesuche, zu einer leidlichen Verständigung zu kommen, voraus 
werfen sollen. Beachtenswert ist immerhin, daß manches in dem vorstehend 
Wiedergegebenen ziemlich in Uebereinstimmung steht mit dem Leitartikel in der 
gestrigen Abendnummer (16. November 1881) der „Norddeutschen Allgemeinen 
Zeitung“, mit dem Unterschied, daß hier eventuell von Vereinbarungen mit den 
Parteien vereint oder getrennt die Rede ist, während der Herr Reichskanzler 
gestern nur successive Besprechung mit Zentrum und, wenn diese zu nichts 
führen würde, mit den Führern der liberalen Parteien in Aussicht nahm. 
Ich werde vorläufig und vorbehaltlich späterer Berichtigung dieser Ansicht 
zu nachstehenden Annahmen geleitet: 
1. Die Wärme und Ausführlichkeit, mit welcher in der verlesenen Botschaft 
auf alle Reformpläne des Kanzlers gleichsam als ein Vermächtnis und Abschluß 
der ruhmvollen Lebenslaufbahn des Kaisers zurückgekommen wird, scheint mir 
darzuthun, daß es dem Kanzler mit deren weiterer Verfolgung voller Ernst ist 
und bleibt. 
2. Ein Zurückweichen durch Amtsniederlegung scheint mir in keiner Weise 
zu besorgen, vielmehr scheint der Kanzler zu hoffen, durch die warme Ueber-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.