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zeugung, welche aus der Botschaft spricht, eine Majorität für seine sämtlichen
Projekte oder doch vorerst für einen Teil derselben auch von dem jetzigen wenig
fügsamen Reichstag zu erlangen.
Jedenfalls scheint
3. der Herr Reichskanzler geneigt, die Lage von der wenigst tragischen
Seite aufzufassen und in dem reichen Schatz seiner Auskunftsmittel nach den
Formen eines annehmbaren Ausgleichs Umschau zu halten, wenn auch wohl
nicht anzunehmen ist, daß er selbst darüber schon zu einer festen Entschließung
gekommen ist und sein letztes Wort bereits vor Beginn der Verhandlungen
sprechen wird. —
Schon aus diesen wenigen Auszügen aus Türckheims Berichterstattung wird
man ersehen, welch ausgezeichnete Kraft Baden in seinem Berliner Gesandten
besaß. Alles in allem genommen, war er ein Mann von hohem innerem Wert,
ganz für die Stellung im Bundesrat geschaffen und ganz des Ansehens würdig,
das er in dieser hohen Körperschaft genoß. 1)
1) Einem in der „Karlsruher Zeitung“ Nr. 351 vom 21. Dezember 1892 enthaltenen
Nekrologe entnehme ich noch folgende Schilderung: Wahr, treu, gewissenhaft, schlicht, den
Schein gering achtend, immer bedacht, das Wesen der Dinge zu erfassen, war er anderen
gegenüber bescheiden und milde, streng nur in der Beurteilung seiner Person und seiner
Leistungen. Für sich selbst spartanisch einfach und bedürfnislos, scheute er kein Opfer, um
anderen eine Freude, einen Lebensgenuß zu bereiten. Jeder Uebermut war ihm zuwider,
übermütige Aeußerungen wies er wohl mit einer sonst an ihm ungewohnten Schärfe zurück.
Er besaß umfassende und gründliche Kenntnisse auf vielen Gebieten des menschlichen
Wissens, aber er verschmähte es, mit denselben hervorzutreten oder gar zu prahlen. Wer
jedoch an sein Wissen appellirte, konnte einer eingehenden, das Gebiet seiner Frage er-
schöpfenden Antwort sicher sein.
Vielleicht wäre der Beruf, der ihm die meiste innere Befriedigung gewährt hätte, das
stille Wirken am Arbeitstisch und die Lösung gelehrter Aufgaben gewesen. Zur Wirksamkeit
eines hohen Beamten und des Vertreters seines Souveräns und Landes berufen, füllte er
aber voll und ganz diese Stellung aus. Es gereichte seinem patriotischen Empfinden zu
hoher Genugthuung, in diesem Amte an dem großen Werke der Wiederherstellung des
Deutschen Reichs mit thätig sein zu dürfen. Er war kein Redner, und als es zu den
Aufgaben der Gesandten zu gehören begann, die verbündeten Regierungen wohl auch im
Reichstag am Tische des Bundesrats zu vertreten, fühlte er sich nicht veranlaßt, bei den
öffentlichen Verhandlungen des Reichstags das Wort zu ergreifen. Aber in der Mitte des
Bundesrats genoß er hohes Ansehen. Seine Ausarbeitungen waren durch gründliche
Durchdringung und Beherrschung des Stoffes, durch Fülle und Sicherheit seines juristischen
Wissens, durch Schärfe seines Urteils und besonnenes Abwägen aller für und wider eine
bestimmte Entscheidung sprechenden Gründe ausgezeichnet. Allen badischen Landsleuten, die
nach Berlin kamen, war er in den Angelegenheiten, die sie ihm vortrugen, ein wohl-
wollender und eifriger Berater. Vgl. noch v. Weech, Badische Biographien, Bd. I. S. 366 ff.