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6. Mecklenburg· Schwerin und Mecklenburg-Strelitz.
Staatsminister v. Bülow
(ek. Bd. I. S. 73).
Am 21. Oktober 1871 hatte v. Bülow in der mecklenburgischen Ver-
fassungsfrage eine längere Unterredung mit dem Fürsten Bismarck.1) Die ganze
Sache, sagte der Fürst, gehöre nicht vor den Reichstag; man müsse dem im
Prinzip durch Bestreitung der Kompetenz widerstehen. Er denke nicht daran,
Verfassungsänderungen von solcher Tragweite zuzugeben; wenn der Reichstag
in der Weise dränge, komme man bei der Frage der Gewalt, und wer der
stärkste sei, an. Grundrechte habe die Verfassung absichtlich nicht ausgenommen.
Bei dem Großherzoge von Mecklenburg-Schwerin oder dem mecklenburgischen
Staat bleibe einfach der Satz entscheidend, den Herr v. Bülow seinerzeit im
Reichstag entwickelt und der den Bundesratsbeschluß motivirt. Der Großherzog
von Mecklenburg sei in den Bund getreten unter der Voraussetzung und Be-
dingung, daß er dieselben Rechte hätte wie alle anderen Glieder, daß also auch
die in rechtlicher Wirksamkeit damals bestehende Verfassung als solche geschützt
sei; sollten Abänderungen vorgenommen werden, so könnten die nicht vom
Reichstage oktroyirt werden, müßten vielmehr aus freien Stücken geschehen und
gingen das Reich nicht an. Die mecklenburgische Verfassung, sagte der Reichs-
kanzler, sei gerade so rechtsgiltig wie alle anderen. Er betrachte das Drängen
nach weiterer Unifikation Deutschlands als unnötig und verderblich, den Charakter
und die freie Entwicklung unserer Institutionen gefährdend. Völlige Einheit
führe zum Despotismus und zur Herrschaft der Laune. Herr v. Bülow könne
ja bezeugen, daß von Berlin aus die Bundesgenossen nie terrorisirt seien und
jetzt weniger als je, wo drei Königreiche zum Bunde gehörten und manches so
anders liege als bei unsern norddeutschen Anfängen. Wir lebten ja jetzt in
einem Bund von Fürsten unter einem erblichen Präsidenten — der Name thue
nichts zur Sache. Darum empfehle er auch, die Aktion und die öffentliche
Stellung des Bundesrats zu erweitern und zu beleben; derselbe sei eine Korporation
so gut wie der Reichstag und müsse seine Rechte behaupten. Er selbst werde
über die mecklenburgische Angelegenheit schwerlich das Wort ergreifen; er müsse
sich für schwerere Fälle, namentlich die Armeefrage, thunlichst reserviren, wolle
auch nicht zugeben, daß der Reichstag den Kanzler als für alles direkt ver-
antwortlich behandle; seine Sympathien gerade für Mecklenburg seien ja un-
zweifelhaft.
1) Ich habe diese Unterredung in diesen Band aufnehmen zu müssen geglaubt, weil
die Frage 1871 und in den folgenden Jahren auch den Bundesrat beschäftigte, und dieselbe
besser im Zusammenhange hiermit gewürdigt wird. In Kohls Bismarck-Regesten ist das
obige Datum nachzutragen.