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Der Fürst zeigte Herrn v. Bülow im weiteren Verlauf der Zusammen—
kunft noch eine Sammlung der Originalberichte des Grafen Benedetti und
anderer Aktenstücke, wie solche im Schloß des Ministers Rouher, wie es scheint
von der siebenzehnten Division, in einem Versteck vorgefunden, teilweise zerstreut
und vernichtet, aber zum Teil doch an den Fürsten gekommen waren, nachdem
ein intelligenter Offizier deren Bedeutung erkannt hatte. Es gehört zu den
unberechenbaren und unvergleichlichen Glücksfällen, daß darunter gerade die auf
das französische Drängen wegen Belgien und auf den von Benedetti geleugneten
famosen Vertrag bezüglichen Schriftstücke aufgefunden wurden (das Konzept
jenes Vertrags, von Napoleon eigenhändig amendirt, liegt jetzt vor) — und es
gehört zu den Beweisen von des Fürsten unglaublicher Selbstbeherrschung, daß
er mit jeder Veröffentlichung dieses Fundes zurückgehalten, bis nun Benedetti,
der nichts vom Schicksal gerade dieser Papiere ahnen konnte, sich durch die
Ableugnung kompromittirte.
Offenbar sind die geheimen auswärtigen Papiere Napoleons, um nicht in
die Hände der Pariser zu fallen, bei Rouher auf dem Lande versteckt worden,
aber leichtsinnigerweise, ohne daß für ihre Bewachung oder eventuelle Vernichtung
irgend gesorgt war.1) «
7. Großherzogtum Sachsen.
Staatsminister Dr. Stichling
(cf. Bd. J. S. 287).
Ueber die Wirksamkeit dieses Staatsmanns nach Gründung des Deutschen
Reichs sind noch einige kleine Züge nachzutragen.2)
Am 22. März 1871, dem Geburtstage des Kaisers, wurde der Bundesrat
in besonderer Audienz empfangen, um seine Glückwünsche darzubringen. Wie
bereits oben S. 136 bemerkt, gab der bayerische Minister v. Pfretzschner den
Gefühlen des Bundesrats Worte. Der Kaiser dankte in ungekünstelten, ernsten
und herzlichsten Worten, und dann ging er die ganze Reihe der in einem Halb-
kreise aufgestellten Bevollmächtigten durch, mit jedem einige Worte wechselnd.
Als er an Stichling herankam, schüttelte er ihm auf das herzlichste die Hand
und hieß ihn willkommen.
Am 16. Juni 1871 nahm Staatsminister Stichling an einem Diner im
Königlichen Schlosse teil, zu welchem der Bundesrat geladen war. „Da waren sie
alle beisammen, die Helden des großen Krieges, um ihren obersten Führer und
1) Ludwig v. Hirschfeld, „Friedrich Franz II.“ Bd. II. S. 299 f., 301 f.:
v. Bülows Immediatberichte über seine Verhandlungen wegen der mecklenburgischen Ver-
fassungsfrage am Strelitzer Hofe. «
2) Dem Werke Dr. Gottfried Theodor Stichlings: „Aus 53 Dienstjahren“, Weimar,
1891, entnommen.