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keiner Weise vorliege und man an der Hand des Antrags dahin kommen müsse,
die Justizhoheit der Einzelstaaten illusorisch zu machen. Vergeblich suchten die
preußischen Bevollmächtigten, der Staatsminister Delbrück und der Geheimrat
Dr. Falk, diese Bedenken zu zerstreuen und auszuführen, wie ja die Verfassung
nur eine Zusammenstellung zerstreuter Rechtsmaterien sei, welche man bei der
Kürze der Zeit einer Revision nicht hätte unterwerfen können, und daß materiell
gewisse Rechtsgebiete bereits der Reichskompetenz unterstellt seien, wodurch an-
gesichts der schwierigen Begrenzung derselben schon allerlei Unzuträglichkeiten
vorgekommen seien, wobei an das Hypothekenrecht, an das Eherecht, an das
Obligationenrecht erinnert wurde, unter ausdrücklicher Betonung, daß die gemein-
same Zivilprozeßordnung Uebergriffe in das Zivilrecht doch unvermeidlich machen
würde.
Die Mehrheit der beiden Ausschüsse empfahl gleichwohl dem Plenum des
Bundesrats die Ablehnung des genannten Antrags. Der darüber erschienene
Ausschußbericht entwickelte ausführlich die verschiedenen Gesichtspunkte.
Die Mehrheit war zunächst dagegen, jetzt schon die kaum vereinbarte
Verfassung wieder abzuändern, zumal weder bezüglich des Zivilrechts noch be-
züglich der Gerichtsorganisation ein dringendes sachliches Bedürfnis für die
vorgeschlagene Abänderung vorliege. Mit Vorbedacht und aus guten Gründen
sei bei der Schöpfung der Verfassung die Kompetenz der Reichsgesetzgebung
auf das Obligationen-, Handels= und Wechselrecht beschränkt worden. Eine
gleichheitliche Ordnung auch des nur in beschränkteren Kreisen wirkenden Personen-,
Familien-, Sachen= und Erbrechtes werde bei den verschiedenartigen Verhält-
nissen nicht ohne empfindliche Schädigung berechtigter Interessen möglich sein.
Die Annahme des Antrags würde auch die nachteilige Folge haben, daß, ob-
wohl das Zustandekommen eines deutschen Zivilgesetzbuchs erst von einer ent-
fernteren Zukunft zu erhoffen wäre, doch schon jetzt die Thätigkeit der Landes-
gesetzgebungen in allen -Gebieten des Zivilrechts lahm gelegt und die
Abhilfe selbst empfindlicher Mißstände im Wege der Landesgesetzgebung faktisch
unmöglich gemacht werden würde. In Betreff der Gerichtsorganisation würde
allerdings die Einführung der Reichs-Prozeßgesetze die Aufstellung gewisser ein-
heitlichen Normen zur Folge haben müssen, hiezu werde es aber einer Verfassungs-
änderung nicht bedürfen, wofern das notwendige Maß nicht überschritten würde.
Es gebe viele Punkte, welche über dieses Maß hinausfallen und doch in das
Gebiet der Gerichtsorganisation gezogen werden können. Die Folge würde
dann sein, daß von der den Bundesstaaten durch die Verfassung gewährleisteten
Justizhoheit nichts übrig bliebe, ein um so bedenklicherer Zustand, als in diesen
Staaten die Gerichtsorganisaton im allgemeinen mit der Organisation anderer
staatlichen Institutionen verwachsen sei.
Die Minderheit teilte den formellen Gesichtspunkt der Unangemessen-
heit der Verfassungsänderung schon im gegenwärtigen Augenblick nicht und