Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Zweiter Band. Der Bundesrat des Zollvereins (1868-1870) und der Bundesrat des Deutschen Reichs (1871-1873). (2)

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8. Post- und Telegraphenwesen. 
Vom Reichskanzler wurden dem Bundesrat vorgelegt die Entwürfe eines 
Gesetzes, betreffend das Reichspostwesen !1) (Gesetz vom 28. Oktober 1871, 
Reichs-Gesetzbl. S. 347) und betreffend das Posttaxwesen. 2) Die Beschluß- 
fassung des Bundesrats über das Posttaxgesetz (wobei der Reichstag gegen die 
Ansicht der Bundesregierungen den Wegfall des Landbriefbestellgeldes vom 
Jahre 1872 ab beschlossen hatte) wurde einstweilen ausgesetzt, und es sollten 
zunächst weitere finanzielle und statistische Erhebungen stattfinden. Indessen 
war von vornherein Aussicht vorhanden, daß der streitige Reichstagsbeschluß 
nicht ganz werde von der Hand gewiesen werden. Man verhehlte sich im 
Bundesrat nicht, daß eine strikte Ablehnung jenes Beschlusses den Reichstag 
dazu bewegen könnte, bei der Beratung des Bundeshaushaltsetats pro 1872 
für die Postverwaltung den Einnahmesatz aus dem Landbriefbestellgeld zu streichen, 
nachdem eine so große Majorität des gesetzgebenden Körpers an jenem Beschlusse 
auch in der dritten Lesung des Taxgesetzes festgehalten hatte. Unter diesen 
Umständen, und um das Zustandekommen des Etats nicht zu gefährden, machten 
sich Stimmen im Bundesrat geltend, welche der Aufhebung des Landbrief- 
bestellgeldes das Wort mit der Maßgabe redeten, daß die Publikation des 
Taxgesetzes bis zum 1. Januar 1872 hinausgeschoben werde. 
Die Frage kam im Herbst 1871 bei Vorberatung des Etatsentwurfs der 
Reichspostverwaltung pro 1872 zur erneuten Beratung. Die Gegner der Er- 
leichterung meinten, das Landbriefbestellgeld sei nur eine unbedeutende Last für 
die ländliche Bevölkerung und es könne andererseits niemand verlangen, daß 
die Postverwaltung ihre Dienste unentgeltlich leiste. Die Majorität des Aus- 
schusses aber wies auf die wahrscheinlichen bedeutenden Ueberschüsse hin, welche 
die Postverwaltung im Jahre 1872 haben werde. Die Bevollmächtigten mehrerer 
Staaten hoben auch die Notwendigkeit einer gleichmäßigen Behandlung der 
Korrespondenz für das Land hervor, welche beeinträchtigt würde, wenn in 
Sachsen, Baden, Bayern, Württemberg, Oldenburg das Landbriefbestellgeld 
nicht, in anderen Bundesstaaten aber erhoben würde. Entscheidend war der 
Hinweis auf den Umstand, daß, wenn das neue Postgesetz nicht zu stande 
käme, in Baden, dessen Postverwaltung vom 1. Januar 1872 auf das Reich 
überging, von diesem Tage ab das Postgesetz von 1867 in Kraft treten würde, 
wodurch das dort abgeschaffte exklusive Recht der Post auf Personenbeförderung 
wieder eingeführt würde. Schließlich entschied sich der Ausschuß und auch das 
1) Analyse desselben „National-Zeitung“ Nr. 168 vom 9. April 1871. 
2) Abweichungen von dem Bundesgesetz vom 4. November 1867, „National-Zeitung“ 
Nr. 170 vom 12. April 1871. Redaktionelle Aenderungen des Bundesrats-Ausschusses 
über das obige Gesetz, Nr. 196 vom 27. April 1871, „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ 
Nr. 99 vom 28. April 1871.
	        
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