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wußte, daß sich der Reichskanzler auf das entschiedenste gegen seinen Antrag
erklärt hatte. Bunsen hatte die Frage dem Reichskanzler schriftlich unterbreitet
und umgehend zur Antwort erhalten, daß er nicht geneigt sei, auf den Antrag
einzugehen, weil es dem Reich an Organen zur Verteilung fehle, und weil diese
Aufgabe kleine Kreise und Vereine zu erfüllen hätten.
Ueber das Schicksal dieses Antrags gibt das nachstehende Schreiben
Bismarcks an den Bundesrat vom Juni 18711) näheren Aufschluß:
Der Reichstag hat in seiner Sitzung vom 23. vorigen Monats den Antrag
des Abgeordneten Bunsen und Genossen, betreffend die Bildung eines Reichs-
fonds zur Unterstützung der aus dem Felde zurückkehrenden Reservisten und
Landwehrmänner, ungeachtet des dagegen von seiten des Bundesrats erhobenen
Widerspruchs, angenommen. Die bezügliche Mitteilung des Präsidenten des
Reichstags ist laut Beschlusses vom 24. vorigen Monats dem ersten und zweiten
Ausschusse überwiesen. Bei der Beratung über den Antrag ist die Bedürfnis-
frage an sich im Namen der verbündeten Regierungen keineswegs verneint,
sondern der Antrag ist nur aus dem Gesichtspunkte der Unmöglichkeit bekämpft
worden, die ihm zu Grunde liegende wohlwollende Absicht von Reichs wegen zu
verwirklichen. Bei dieser Sachlage und mit Rücksicht auf die im Reichstage
abgegebenen Erklärungen ist nach der Ansicht des Unterzeichneten die in dem
Bundesrat in dieser Angelegenheit einzunehmende Haltung von selbst vorgezeichnet.
Der Bundesrat wird die eigentliche Initiative zur Abhilfe des in der gedachten
Beziehung obwaltenden Notstandes den einzelnen hohen Bundesregierungen zu
überlassen und seinerseits auf eine allgemeine Anregung und auf die Andeutung
des zweckmäßigen Weges, um zu dieser Abhilfe zu gelangen, zu beschränken
haben. Dieser Weg möchte darin zu finden sein, daß die einzelnen hohen
Bundesregierungen à conto des ihnen demnächst zu überweisenden Anteils an
der französischen Kriegsentschädigung den Kommunalverbänden (Kreisen, Städten,
Ortsbezirken oder Vereinen), welchen die Unterstützung der Landwehr= und
Reservistenfamilien obliege, die Mittel überweisen, um den durch die Ein-
ziehung zur Fahne in ihren Erwerbs= und Vermögensverhältnissen besonders
schwer geschädigten Reserve-Offizieren und Mannschaften die Wiederaufnahme
ihres bürgerlichen und gewerblichen Berufs nach Möglichkeit zu erleichtern. Der
Unterzeichnete beehrt sich hiernach, dem Bundesrat die dementsprechende Beschluß-
fassung ganz ergebenst anheimzustellen.
Der Reichskanzler.
v. Bismarck.
Dem Vorschlage Bismarcks, diese ganze Sache den einzelnen Regierungen
zu überlassen, stand nur eines entgegen, daß keiner der deutschen Landtage zur
Sommerszeit versammelt war. Es trat also doch an den Bundesrat die
1) In Kohls Bismarck-Regesten nicht erwähnt.