Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Zweiter Band. Der Bundesrat des Zollvereins (1868-1870) und der Bundesrat des Deutschen Reichs (1871-1873). (2)

war dieser: Die Verfassung des Deutschen Reichs soll erst am 1. Januar 1874 in 
Elsaß und Lothringen in Wirksamkeit treten. Von da an soll aber dem Reiche 
für Elsaß und Lothringen das Recht der Gesetzgebung auch in denjenigen Angelegen— 
heiten zustehen, welche sonst den einzelnen deutschen Staaten vorbehalten sind. Bis 
zum 1. Januar 1874 soll das gesamte Gesetzgebungsrecht für die genannten Lande 
vom Kaiser mit Zustimmung des Bundesrats, aber ohne Mitwirkung des Reichs- 
tags, ausgeübt werden. Einzelne Teile der Reichsverfassung sollen schon vor jenem 
Zeitpunkt durch Verordnung des Kaisers mit Zustimmung des Bundesrats ein- 
geführt werden können. Endlich, der Kaiser allein soll in Elsaß-Lothringen alle 
anderen Rechte der Staatsgewalt außer dem der Gesetzgebung ausüben. 
Die Ouintessenz der Vorlage lag darin, daß die Gefahr einer Teilung 
von Elsaß-Lothringen, aber auch infolge der von Bayern gestellten Ansprüche 
die einer Angliederung an Preußen beseitigt war. !) 
Die Vorlage wurde dem Verfassungsausschuß des Bundesrats überwiesen. 
Derselbe betraute mit dem Referat den württembergischen Staatsminister v. Mitt- 
nacht. Zuerst fand eine einzige, gewissermaßen informirende Besprechung statt, 
in welcher der preußische Kommissar, Geheimrat Eck, die erforderlichen Er- 
läuterungen zu dem Entwurfe gab und so gewissermaßen die fehlenden Motive 
ergänzte. Es stellte sich indessen heraus, daß die Meinungen über den Ent- 
wurf noch sehr aus einander gingen. Teils schien die Dauer der Diktatur zu 
lange, andernteils die Vertretung der Landesteile im Reichstag und im Bundes- 
rat zu lückenhaft geordnet; es wurde unter anderem darauf hingewiesen, daß 
der Kaiser als solcher im Bundesrat nicht vertreten sei. Es eröffneten sich nach 
dieser Richtung hin eine ganze Fülle dehnbarer Punkte. 
1) Treffend führte die „National-Zeitung“ Nr. 210 vom 6. Mai 1871 diesen Gedanken 
aus, indem sie bemerkte: „Die bayerische Regierung schien nicht bloß mit Wünschen nach 
Berlin gekommen zu sein, sondern auf Zusagen, oder mindestens auf begünstigte Aussichten 
sich zu stützen. Der Widerstand der öffentlichen Meinung mußte in allen Kreisen ihres 
Berufs geschlossen auftreten, um den halb vollendeten Fehler abzuwenden: die Presse that 
kräftigen Einspruch, von der Mehrheit des Reichstags konnte mit aller Bestimmtheit voraus- 
gesagt werden, daß sie die Teilung des Gebietes niemals zugeben würde; aus Elsaß kam 
der heftigste Protest, und so mußte die bayerische Regierung nachgeben, wenn sie nicht sich 
selbst und die deutsche Politik schlimmer Verlegenheit aussetzen wollte. Da der Preis 
ohnehin nicht zu haben war, so ließ sich die patriotische Entsagung leicht mit der Klugheit 
vereinen; denn für die bayerische Regierung war es viel klüger, Anspruch auf Ersatz zu 
erwerben, als sich zum Mittelpunkt des Angriffes zu machen, welcher mit sicherem Unter- 
liegen bedrohte. Aber ganz ohne Nachwirkung sind die bayerischen Gebietsforderungen nicht 
geblieben. Während das Publikum den Gedanken der Teilung zurückwies, gewöhnte es 
sich an den Namen des „Reichslandes“ und der Plan, Elsaß und Lothringen unmittelbar 
an Preußen anzuschließen oder in Personalunion mit Preußen zu vereinigen, trat auch in 
Kreisen der Anhänger vielfach zurück. Wir wissen nicht, wie weit früher der engere An- 
schluß an Preußen auf Erfolg zu rechnen hatte, aber seit die bayerischen Ansprüche bekannt 
und glücklich bekämpft worden, betrachteten wir die Angelegenheit als entschieden im Sinne 
derjenigen, welche den Besitz von Elsaß und Lothringen dem Reiche zuwiesen.“
	        
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