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Mitte November 1873 lag das umfassende legislatorische Werk in den
Händen des Bundesrats. Nach demselben blieben die Gerichte erster und zweiter
Instanz (Amtsgerichte, Landesgerichte und Handelsgerichte und die Oberlandes-
gerichte) Landesgerichte, nur das Gericht dritter Instanz, welches als einziger
oberster Gerichtshof fungiren sollte, „das Deutsche Reichsgericht“", war, wie schon
der Name sagte, ein Reichsgerichtshof, und zwar bezog sich die Zuständigkeit
desselben nach dem Entwurfe auf die Oberrevision in bürgerlichen Rechts-
streitigkeiten, auf die Revision der Urteile der Strafgerichte erster und zweiter
Instanz, der mittleren und großen Schöffengerichte und endlich auf die Be-
schwerden, soweit dieselben gegen Entscheidungen der Oberlandesgerichte statt-
fanden. Bei Vorlegung des Gesetzentwurfs wie des bezüglichen Einführungs-
gesetzes ersuchte der Reichskanzler den Bundesrat um Beschlußfassung über
das für die Prüfung und die Feststellung derselben einzuhaltende weitere Ver-
fahren.
Die weitere Entwicklung fällt in die vierte Session des Bundesrats.
Strafprozeßordnung. Auf den Antrag des Ausschusses für Justiz-
wesen faßte der Bundesrat in der Sitzung vom 13. März 1873 folgende
Beschlüsse: 1. Der nach der Mitteilung des Reichskanzlers vom 23. Januar
aufgestellte Entwurf einer deutschen Strafprozeßordnung (ef. oben
S. 293) soll einer Vorberatung durch eine besondere, aus elf angesehenen
Juristen des Deutschen Reichs bestehende Kommission 1) unterzogen werden; 2. die
Mitglieder der Kommission werden von dem Bundesrat gewählt; über jedes
wird besonders abgestimmt; 3. die Kommission tritt zur Erledigung des Auf-
trags im Laufe des Monats April 1873 in Berlin zusammen und wird ihre
Arbeiten thunlichst beschleunigen; 4. der Vorsitzende der Kommission wird
aus der Mitte der Mitglieder vom Reichskanzler ernannt; die Ernennung des
Berichterstatters erfolgt auf Vorschlag des Vorsitzenden mittelst Vereinbarung
oder in Ermanglung einer solchen durch Abstimmung in der Kommission;
5. jedes Mitglied führt eine Stimme; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme
des Vorsitzenden den Ausschlag; im übrigen regelt sich der Geschäftsgang nach
den von der Kommission selbst zu treffenden Normen; 6. nach Vollendung des
Auftrags hat die Kommission den Entwurf, wie er sich nach ihren Beratungen
1) Zu Mitgliedern der Kommission wurden gewählt: 1. Der Präsident Dr. Friedberg
in Berlin, 2. der Geheime Ober-Justizrat Dr. Förster, vortragender Rat im Justiz-
ministerium, ebendaselbst, 3. der Appellationsgerichts-Vizepräsident, Geheime Ober-Justizrat
Mager in Insterburg, 4. der ordentliche Professor der Rechte, Staatsrat Dr. Zachariae
in Göttingen, 5. der Rechtsanwalt, Justizrat Wiener in Berlin, 6. der Appellations-=
gerichtsrat Dr. Staudinger in München, 7. der Generalstaatsanwalt Dr. Schwarze in
Dresden, 8. der Ober-Tribunalsrat v. Binder in Stuttgart, 9. der Ministerialrat
Dr. Bingner in Karlsruhe, 10. der Ober-Appellationsgerichtsrat Dr. Zentgraf in Darm-
stadt, 11. der Ober-Staatsanwalt Dr. Mittelstädt in Hamburg.