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den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise erörtert, wird mit Gefängnis oder
Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft.“
Es war bezeichnend, daß in Bezug auf den Ruhm der Vaterschaft des
Preßgesetzentwurfes nur geringe Eifersucht bestand. Der Entwurf war dem
Bundesrat zugegangen mit einem Schreiben, durch welches ihn „der preußische
Minister der auswärtigen Angelegenheiten Fürst Bismarck im Namen des
preußischen Ministeriums mit der Bitte überreichte, dem Entwurf die Zustim-
mung des Bundesrats zu erteilen“. Jetzt versicherten Auslassungen, die aus
dem Auswärtigen Amt inspirirt wurden, daß das Einverständnis des Fürsten
Bismarck mit diesem Entwurf durchaus nicht feststehe, ja daß vielleicht der Fürst
den Entwurf nicht einmal gelesen habe. 1)
Ueber das Schicksal des Entwurfs im Justizausschuß des Bundesrats ver-
lautete, derselbe habe die Bestimmung, welche den verantwortlichen Redakteur
einer periodischen Druckschrift in allen Fällen als Thäter bestraft, abgelehnt
und eine successive Haftbarkeit jedoch in Abweichung von dem Biedermannschen
Entwurf angenommen. Der Nachweis des Verfassers sollte nur zulässig sein,
wenn derselbe sich im Bereiche der deutschen Gerichtsbarkeit befand. Der be-
rüchtigte Artikel 20 des Entwurfs soll solchen Schrecken verursacht haben, daß
der Ausschuß sich erst davon erholen mußte und die Beschlußfassung über ihn
aussetzte. 2
Im Winter nahm der Justizausschuß seine Arbeit an dem Entwurf wieder
auf. Zunächst beschäftigte er sich mit einer Revision der Beschlüsse, welche der-
selbe bereits im Frühjahr über das erste Drittel des Entwurfs gefaßt hatte.
Die wichtigsten Abänderungen des Entwurfs, welche der Ausschuß in Vorschlag
brachte, betrafen die Bestimmungen über die Verantwortlichkeit für den Inhalt
der Zeitungen und Zeitschriften. Der Vorschlag des preußischen Entwurfs, den
verantwortlichen Redakteur für den gesamten Inhalt der Zeitung, nur mit Aus-
1) Als ein Aeußerstes, wohin die Irreleitung der öffentlichen Meinung sich versteigen
kann, teilte die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ Nr. 149 vom 29. Juni 1873 mit, was
aus Berlin dem „Nürnberger Korrespondenten“ geschrieben war. „Es unterliegt keinem
Zweifel mehr, daß der vom Minister der auswärtigen Angelegenheiten Preußens im Namen
Preußens dem Bundesrat vorgelegte Preßgesetzentwurf nicht einem einzigen der preußischen
Minister vorher bekannt war. Der preußische Ministerpräsident Graf Roon soll darüber
nicht wenig aufgebracht sein und dem König den ganzen Sachverhalt mit soldatischem Frei-
mut vorgetragen haben. Der Reichskanzler entschuldigt sein Verfahren mit dem erzielten
Erfolg, der darin besteht, die Pläne des Reichstags durchkreuzt zu haben. Graf Roon kann
sich jedoch damit nicht so leicht zufrieden geben und bat einen „unbestimmten Urlaub“ ge-
nommen. Graf zu Eulenburg übernimmt den Vorsitz im Staatsministerium.“
2) Der Umstand, daß der Reichstag in der Frühjahrssession 1873 — trotz eines mit
der Reichsregierung abgeschlossenen Kompromisses — die Beratungen eines aus seiner
Initiative hervorgegangenen Preßgesetzes in Angriff nahm, führte zu lebhaften Erörte=
rungen zwischen dem Reichskanzler und einigen Mitgliedern des Reichstags.