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klang es immerhin zu hören: „Ev. Joh. 10, 14. Ich bin ein guter Hirte,
und erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen“ — dann aber Vers 16:
„Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle. Und
dieselbigen muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und wird
Eine Herde und Ein Hirte sein!“ Wunderbar schön war der Gesang des Dom-
chors aus der Höhe der Kapelle herab. Namentlich das „Heilig, heilig, heilig
ist Gott der Herr!“ war unbeschreiblich ergreifend. Es war das schönste an
der ganzen Sache. Nach dem Gottesdienst, der eine volle Stunde dauerte,
wurden uns in einem der Säle des Schlosses, wo sich der Bundesrat zunächst
wieder sammelte, ein Glas Wein — wie R. sagen würde — und einige Sar-
dellenbrötchen gereicht. Bismarck, mit dem ich auf dem Wege dahin zusammen-
traf, sagte: „Ich muß jetzt zu meinem allergnädigsten Herrn und sehen, ob er
seine Rede nicht vergessen hat.“ Als wir uns gestärkt, begann der Marsch des
Bundesrats in den Weißen Saal des Schlosses. Wir waren fast vollzählig,
etliche 40 Personen. Voran Bismarck mit dem bayerischen Gesandten, dann
Delbrück mit Weinlig von Sachsen, nach diesen Linden und Spitzemberg, —
Pommer-Esche mit mir u. s. w. Der Saal war von den Abgeordneten zum
Zollparlament fast voll, obgleich ein Teil der unsern weggeblieben war. Als
wir unsern Platz erreicht, meldete Bismarck dem Könige, daß alles bereit sei.
Der kam, von lautem Hoch empfangen, und las mit seiner schönen sympathischen
Stimme die sehr sachgemäß gehaltene Rede ab, — in der seitdem Mohl vergeb-
lich nach verborgenen Spitzen sucht. Das Hoch am Schlusse brachte der bayerische
Gesandte aus, welcher darüber schon einige Tage her sich beunruhigt hatte. Beim
Weggehen begrüßte ich Reibel. Mit Linden, Mittnacht und Ramm aß ich bei
Spitzembergs, mußte aber vom Essen weg wieder in die Sitzung. Um halb
10 Uhr endlich fertig, beschloß ich den Tag beim „schweren Wagner“.
Gestern mußte mit den Schweizern konferirt werden. Nach vierwöchent-
lichen Mühen stehen wir wieder einmal vor einem Abbruch der Verhandlungen.
Es gehört viel Geduld dazu, das alles zu ertragen.
Unsere Demokraten halten es unter ihrer Würde, mit dem König von Preußen
an einem Tische zu sitzen, haben daher zum Hofdiner im Schlosse forsch ab-
geschrieben. Und so hatte denn Spitzemberg gestern die Freude, den Majestäten
gerade sieben Schwaben vorstellen zu dürfen: zuerst Herrn v. Neurath, dann
Mittnacht, Vayhinger, der anfangs Händel anfangen wollte, weil man die
sächsischen Abgeordneten zwischen die Württemberger und Bayern stellte, aber
entzückt ward, als die Königin von dem schönen Stuttgart zu sprechen anfing
und vom Volksfest und dem verstorbenen König Wilhelm. Ferner waren noch
da Probst, Ramm, Dörtenbach und Knosp. Zu letzterem sagte der König:
„Das muß ein gutes Geschäft sein, das Sie haben.“ Unsere Herren sind
auf alles dieses hin sehr befriedigt, zumal man ihnen auch beim Essen gute
Plätze an der ersten Tafel angewiesen hat.