— 49 —
durchgreifenden Reform des geltenden Strafrechtes, Strafprozesses und Zivil-
prozesses nach Maßgabe der in der Verfassung niedergelegten Grundsätze.
Nicht minder eifrig und in demselben Geiste ward früher und später auf
anderen Gebieten der Justizgesetzgebung gearbeitet und gefördert, wie die um-
fassenden Bände der Gesetzsammlung der beiden letzten Jahrzehnte im einzelnen
bezeugen.
Als Minister des Auswärtigen war Herr v. Rössing zugleich in politischen
Angelegenheiten der erste Berater seines Souveräns, und ein Rückblick auf die
Begebenheiten mag genügen, um den Beweis zu liefern, daß auch diese Seite seiner
Wirksamkeit wohl weder eine leichte noch eine stoffarme war. Schon der König
Friedrich VII. von Dänemark (gest. 15. November 1863), von welchem die großen
Umwälzungen der letzten Jahre ihren Ausgang genommen haben, verwickelte un-
mittelbar das oldenburgische Fürstenhaus in die Vorgänge der schleswig-holsteinschen
Erbfolgeverhältnisse und in daraus sich ergebende politische Kombinationen. Den
durch mehrere Jahre sich hinziehenden schwierigen und komplizirten Verhand-
lungen jener Zeit, sowie der durch die Arrondirung des Fürstentums Lübeck
auch für die Landesinteressen nutzbringenden Abwickelung dieser Angelegenheit
hat wohl niemand so nahe gestanden wie Herr v. Rössing. An die schleswig-
holsteinsche Krisis schloß sich dann unmittelbar die sorgenvolle Zeit vor dem
Ausbruch des Krieges zwischen Preußen und Oesterreich, und nach dem auch in
Oldenburg mit Jubel begrüßten Tage von Königgrätz brachte der Friedens-
schluß und die mit ihm gegebene Neugestaltung der deutschen Verfassung neue
und ernste Arbeit. Den Ministerkonferenzen in Berlin, in welchen im Winter
1866/67 der Entwurf der Norddeutschen Bundesverfassung festgestellt wurde,
wohnte Herr v. Rössing in vielseitiger Beteiligung an den Arbeiten derselben
von Anfang bis zu Ende bei, und die freundlichen Beziehungen, welche er nicht
allein mit den preußischen Staatsmännern, sondern auch mit einflußreichen
Kollegen aus anderen Staaten, namentlich mit dem ihm im Tode voran-
gegangenen hochbegabten weimarischen Minister v. Watzdorf, zu knüpfen und
zu pflegen verstand, sind für wichtige oldenburgische Landesinteressen nicht ohne
mannigfache Förderung geblieben. Auch an den Verhandlungen des Bundes-
rats nahm Herr v. Rössing namentlich während der Zeit vor dem Kriege
mit Frankreich und auch noch unmittelbar nach demselben regelmäßigen und
thätigen Anteil.
Der denkwürdigen hundertjährigen Jubelfeier der Regierungsübernahme
des gegenwärtigen großherzoglichen Hauses am 14. Dezember 1873 wohnte
Herr v. Rössing noch in voller Gesundheit bei. Auf einer Reise nach Berlin,
welche er im Februar 1874 unternahm, um an den Beratungen des Bundes-
rats über das auch für die oldenburgischen Verhältnisse einschneidend wichtige
Projekt der Reichs-Justizverfassung teilzunehmen, kam die tödliche Krankheit,
welcher er erlag, zum Ausbruch.
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat. II. 4