88 Viertes Kapitel: Diplomat.
Eurer Majestät zugezogen, und ich werde das Gefühl haben, meinen
Gegnern ausgeliefert zu sein, wenn ich Gesandter in Wien werden
sollte. Jede Regirung kann jeden Gesandten, der bei ihr beglaubigt
ist, mit Leichtigkeit schädigen und durch Mittel, wie sie die öst-
reichische Politik in Deutschland anwendet, seine Stellung verderben."“
Die Erwiderung des Königs pPflegte zu sein: „Befehlen will ich
nicht, Sie sollen freiwillig hingehn und mich darum bitten; es ist
das eine hohe Schule für Ihre diplomatische Ausbildung, und Sie
sollten mir dankbar sein, wenn ich diese Ausbildung, weil es bei
Ihnen der Mühe lohnt, übernehme.“
Auch die Ministerstellung lag damals außerhalb meiner Wünsche.
Ich war überzeugt, daß ich dem Könige gegenüber als Minister eine
für mich haltbare Stellung nicht erlangen würde. Er sah in
mir ein Ei, was er selbst gelegt hatte und ausbrütete, und würde
bei Meinungsverschiedenheiten immer die Vorstellung gehabt haben,
daß das Ei klüger sein wolle als die Henne. Daß die Ziele der
preußischen auswärtigen Politik, welche mir vorschwebten, sich mit
denen des Königs nicht vollständig deckten, war mir klar, ebenso die
Schwierigkeit, welche ein verantwortlicher Minister dieses Herrn zu
überwinden hatte bei dessen selbstherrlichen Anwandlungen mit oft
jähem Wechsel der Ansichten, bei der Unregelmäßigkeit in Geschäften
und bei der Zugänglichkeit für unberufene Hintertreppen-Einflüsse
von politischen Intriganten, wie sie von den Adepten unfrer Kur-
fürsten bis auf neuere Zeiten in dem regirenden Hause, sogar bei
dem strengen und hausbacknen Friedrich Wilhelm I. Zutritt ge-
funden haben — pharmacopolae, balatrones, hoc genus omnei.
Die Schwierigkeit, gleichzeitig gehorsamer und verantwortlicher
Minister zu sein, war damals größer als unter Wilhelm I.
Im September 1853 wurde mir in Hanover die Aussicht,
Minister zu werden, eröffnet. Nach Beendigung meiner Badekur in
Norderney wurde ich von dem eben aus dem Ministerium Schele
1) Horat. Sat. 1 2, 1 f.