104 Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg.
werden‘ und ‚die Stellung als Großmacht zu verlieren‘. Die
größten Albernheiten, die zu denken sind: denn von einem Concert
européen zu sprechen, wenn zwei Mächte mit einer dritten im
Kriege sind, ist doch geradezu ein hölzernes Eisen, und unsre
Stellung als Großmacht verdanken wir doch wahrhaftig nicht der
Gefälligkeit von London, Paris und Wien, sondern unsrem guten
Schwerte. Ueberdem aber spielt überall eine Empfindlichkeit gegen
Rußland mit, die ich vollkommen begreife, und auch theile, der man
aber jetzt nicht nachgeben kann, ohne zugleich uns selbst zu züchtigen.
Wo man nicht wahr gegen sich selbst ist, ist man allemal auch
nicht klar. Und so leben und handeln wir zwar nicht in solcher
Unklarheit, wie in Wien, wo man wie ein Schlaftrunkener alle
Augenblicke handelt, als ob man schon im Kriege mit Rußland
wäre: aber wie man neutral und Friedensvermittler sein, und zu-
gleich Propositionen, wie die letzten der Seemächte empfehlen kann,
verstehe ich mit meinen schwachen Verstandeskräften nicht."“
Die folgenden Brieffragmente sind wieder von Gerlach.
„Sanssouci, 13. October 1854.
.. Eeitdem ich alles gelesen und nach Kräften gegen einander
abgewogen habe, halte ich es für sehr wahrscheinlich, daß die
zwei Drittel Stimmen Oesterreich nicht entgehen werden. Hannover
spielt ein falsches Spiel, Braunschweig ist westmächtlich, die Thü-
ringer ebenso, Bayern ist in allen Zuständen und des Königs
Mojestät ist ein schwankendes Rohr. Selbst über Beust gehen zweifel-
hafte Nachrichten ein. Hierzu kommt, daß man in Wien zum Kriege
entschlossen scheint. Man sieht ein, daß die expectative bewaffnete
Stellung nicht länger durchzuführen ist, schon finanziell nicht, und
hält das Umkehren für gefährlicher als das Vorwärtsgehen. Leicht
ist das Umkehren auch wirklich nicht, und ich sehe auch nicht ein,
woher dem Kaiser dazu die Entschlossenheit kommen soll. Oester-
reich kann sich für das Erste und oberflächlich leichter mit den
revolutionären Plänen der Westmächte verständigen als Preußen,