106 Fünftes Kapitel: Wochenblattspartei. Krimkrieg.
ist keine ultramontane der Hauptsache nach, wie es sich Se. Majestät
construirt, obschon sie den Ultramontanismus nach den Umständen
gebraucht; sie hat keine großen Pläne von Eroberungen im Orient,
obschon sie auch davon etwas mitnimmt; sie denkt auch nicht an
die deutsche Kaiserkrone. Alles das ist viel zu erhaben und wird nur
hin und wieder als Mittelchen zum Zweck benutzt. Die öster-
reichische Politik ist eine Politik der Furcht, basirt auf die schwie-
rige innere und äußere Lage in Italien, Ungarn, in den Finanzen,
in dem zerstörten Recht, in der Furcht vor Bonaparte, in der Angst
vor russischer Rache, auch in der Furcht vor Preußen, dem man
viel mehr Böses zutraut, als irgend Jemand je hier gedacht hat.
Meyendorff sagt: „Mein Schwager Buol ist ein politischer Hunds-
fott; er fürchtet jeden Krieg, aber allerdings mehr einen Krieg mit
Frankreich als mit Rußland.“ Dieses Urtheil ist ganz richtig, und
diese Furcht ist das, was Oesterreich bestimmt.
Ich glaube, wenn man betrachtet, daß es immer ein gefähr-
liches Ding ist, allein zu stehen, daß die Dinge hier im Lande so
sind, daß es auch gefährlich ist, sie auf die Spitze zu treiben; da
weder Manteuffel noch — zuverlässig sind, so scheint es mir der
Klugheit angemessen, Oesterreich so weit als irgend möglich nach-
zugehen. Ueber diese Möglichkeit hinaus liegt aber jede Allianz mit
Frankreich, die wir weder moralisch, noch finanziell, noch militärisch
vertragen können. Sie wäre unser Tod, wir verlören unsern Ruhm
von 1813—1815, von dem wir leben, wir würden den mit Recht
mistrauischen Alliirten Festungen einräumen, wir würden sie er-
nähren müssen. Bonaparte l'#lu de sept millions würde bald
einen König von Polen finden, der auf demselben Rechtstitel stände
und dem man mit Leichtigkeit die Wähler in beliebiger Anzahl
finden würde 1)
Potsdam, den 4. Januar 1855.
mIch glaube, daß wir einig sein würden, wenn Sie hier
wären, das heißt in dem was zu thun ist, wenn auch nicht im
) a. a. O. 203 ff.