Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

144 Siebentes Kapitel: Unterwegs zwischen Frankfurt und Berlin. 
die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses angeeignet hätte, so wäre 
immer, um ein Etatsgesetz nach Art. 99 zu Stande zu bringen, 
die Zustimmung des dritten Factors, des Königs, unentbehrlich ge- 
wesen, um dem Etat Gesetzeskraft zu geben. Nach meiner Ueber- 
zeugung würde König Wilhelm seine Zustimmung auch dann 
versagt haben, wenn das Herrenhaus in seinen Beschlüssen mit 
dem Abgeordnetenhause übereingestimmt hätte. Daß die „Erste 
Kammer“ das gethan haben würde, glaube ich nicht, vermuthe im 
Gegentheil, daß ihre durch Sachlichkeit und Leidenschaftslosigkeit 
überlegnen Debatten schon viel früher auf das Abgeordnetenhaus 
mäßigend eingewirkt und dessen Ausschreitungen zum Theil ver- 
hindert haben würden. Das Herrenhaus hatte nicht dasselbe Schwer- 
gewicht in der öffentlichen Meinung, man war geneigt, in ihm eine 
Doublüre der Regirungsgewalt und eine parallele Ausdrucksform 
des königlichen Willens zu sehn. 
Ich war schon damals solchen Erwägungen nicht unzugänglich, 
hatte im Gegentheil dem Könige gegenüber, als er seinen Plan 
wiederholt mit mir besprach, lebhaft befürwortet, neben einer ge- 
wissen Anzahl erblicher Mitglieder den Hauptbestand des Herren- 
hauses aus Wahlcorporationen hervorgehn zu lassen, deren Unter- 
lage die 12000 oder 13.000 Rittergüter, vervollständigt durch 
gleichwerthigen Grundbesitz, durch die Magistrate bedeutender Städte 
und die Höchstbesteuerten ohne Grundbesitz nach einem hohen Census 
abgeben sollten, und daß der nichterbliche Theil der Mitglieder 
ebenso wie die des Abgeordnetenhauses der Wahlperiode und der 
Auflösung unterliegen sollte. Der König wies diese Ansichten so 
weit und geringschätzig von sich, daß ich jede Hoffnung auf ein- 
gehende Erörterung derselben aufgeben mußte. Auf dem mir neuen 
Gebiete der Gesetzgebung hatte ich damals nicht die Sicherheit des 
Glaubens an die Richtigkeit eigner Auffassungen, welche erforderlich 
gewesen wäre, um mich in den mir gleichfalls neuen unmittel- 
baren Beziehungen zu dem Könige und in den Rücksichten auf meine 
amtliche Stellung zum Festhalten an abweichenden eignen Ansichten
	        
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