Unterredung mit Napoleon III. Verstimmung des Königs. 155
wieder genähert hatte, fragte er mich einmal bei Tafel quer über
den Tisch nach meiner Meinung über Louis Napoleon; sein Ton
war ironisch. Ich antwortete: „Ich habe den Eindruck, daß der
Kaiser Napoleon ein gescheidter und liebenswürdiger Mann, aber
so klug nicht ist, wie die Welt ihn schätzt, die Alles, was vorgeht,
auf seine Rechnung schreibt, und wenn es in Ostasien zur unrechten
Zeit regnet, das aus einer übelwollenden Machination des Kaisers
erklären will. Man hat sich besonders bei uns daran gewöhnt,
ihn als eine Art génie du mal zu betrachten, das immer nur
darüber nachdenke, wie es in der Welt Unfug anrichten könne!).
Ich glaube, daß er froh ist, wenn er etwas Gutes in Ruhe genießen
kann; sein Verstand wird auf Kosten seines Herzens überschätzt; er
ist im Grunde gutmüthig und es ist ihm ein ungewöhnliches Maß
von Dankbarkeit für jeden geleisteten Dienst eigen."“
Der König lachte dazu in einer Weise, die mich verdroß und zu
der Frage veranlaßte, ob ich mir gestatten dürfe, die augenblicklichen
Gedanken Sr. Majestät zu errathen. Der König bejahte und ich sagte:
„General von Canitz hielt den jungen Offizieren in der Kriegs-
akademie Vorträge über Napoleon's Feldzüge. Ein strebsamer Zu-
hörer fragte ihn, warum Napoleon diese oder jene Bewegung unter-
lassen haben könne. Canitz antwortete: „Ja, sehn Sie, wie dieser
Napoleon eben war, ein seelensguter Kerl, aber dumm, dumm —
was natürlich die große Heiterkeit der Kriegsschüler erregte. Ich
fürchte, daß Eurer Majestät Gedanken über mich denen des Generals
von Canitz über Napoleon ähnlich sind.“
Der König sagte lachend: „Sie mögen Recht haben; aber ich
kenne den jetzigen Napoleon nicht hinreichend, um Ihren Eindruck
bestreiten zu können, daß sein Herz besser sei, als sein Kopf.“ Daß
die Königin mit meiner Ansicht unzufrieden war, konnte ich aus
den kleinen Aeußerlichkeiten entnehmen, durch welche sich bei Hofe
die Eindrücke kenntlich machen.
1) Vgl. die Aeußerung Bismarck's in der Reichstagsrede vom 8. Januar
1885, Politische Reden X 373.