Briefwechsel mit Gerlach über Frankreich. 161
willen angefangen. Aber sie haben im Gegentheil uns in der
Durchmarschfrage genirt, so viel sie konnten, uns verleumdet, uns
Baden abwendig gemacht, und jetzt in Paris sind sie mit England
unfre Gegner gewesen. Ich weiß von den Franzosen und von
Kisseleff, daß in allen Besprechungen, wo Hübner ohne Hatzfeldt
gewesen ist, und das waren grade die entscheidenden, er stets der
Erste war, sich dem englischen Widerspruch gegen uns anzuschließen;
dann ist Frankreich gefolgt, dann Rußland. Warum sollte aber
überhaupt Jemand etwas für uns in Neuenburg thun und sich
für unsre Interessen einsetzen? hatte denn Jemand von uns etwas
dafür zu hoffen oder zu fürchten, wenn er uns den Gefallen that
oder nicht? Daß man in der Politik aus Gefälligkeit oder aus
allgemeinem Rechtsgefühl handelt, das dürfen Andre von uns,
wir aber nicht von ihnen erwarten.
Wollen wir so isolirt, unbeachtet und gelegentlich schlecht be-
handelt weiter leben, so habe ich freilich keine Macht, es zu ändern;
wollen wir aber wieder zu Ansehn gelangen, so erreichen wir
es unmöglich damit, daß wir unser Fundament lediglich auf den
Sand des Deutschen Bundes bauen und den Einsturz in Ruhe
abwarten. So lange Jeder von uns die Ueberzeugung hat, daß
ein Theil des europäischen Schachbretes uns nach unserm eignen
Willen verschlossen bleibt oder daß wir uns einen Arm prinzipiell
festbinden, während jeder Andre beide zu unserm Nachtheil be-
nutzt, wird man diese unfre Gemüthlichkeit ohne Furcht und ohne
Dank benutzen. Ich verlange ja garnicht, daß wir mit Frankreich
ein Bündniß schließen und gegen Deutschland conspiriren sollen;
aber ist es nicht vernünftiger, mit den Franzosen, so lange sie uns
in Ruhe lassen, auf freundlichem als auf kühlem Fuße zu stehn?
Ich will nichts weiter als andern Leuten den Glauben benehmen,
sie könnten sich verbrüdern, mit wem sie wollten, aber wir würden
eher Riemen aus unsrer Haut schneiden lassen, als dieselbe mit
französischer Hülse vertheidigen. Höflichkeit ist eine wohlfeile Münze;
und wenn sie auch nur dahin führt, daß die Andern nicht mehr
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 11