Briefwechsel mit Gerlach über Frankreich. 163
vieles zu Gute und lassen uns viel gefallen dafür, selbst im Beutel.
Aber wenn wir uns für's Innre sagen müssen, daß wir mehr
durch unfre guten Säfte die Krankheiten ausstoßen, welche unfre
ministeriellen Aerzte uns einimpfen, als daß wir von ihnen geheilt
und zu gesunder Diät angeleitet würden, so sucht man im Aus-
wärtigen vergebens nach einem Trost dafür. Sie sind doch, ver-
ehrtester Freund, au fait von unfrer Politik; können Sie mir nun
ein Ziel nennen, welches dieselbe sich etwa vorgesteckt hat, auch
nur einen Plan auf einige Monate hinaus; grade rebus sic stan-
tibus weiß man da, was man eigentlich will? weiß das irgend
Jemand in Berlin und glauben Sie, daß bei den Leitern eines
andern Staates dieselbe Leere an positiven Zwecken und Ideen vor-
handen ist? Können Sie mir ferner einen Verbündeten nennen,
auf welchen Preußen zählen könnte, wenn es heut grade zum Kriege
käme, oder der für uns spräche bei einem Anliegen, wie etwa das
Neuenburger, oder der für uns irgend etwas thäte, weil er auf
unsern Beistand rechnet oder unfre Feindschaft fürchtet? Wir sind
die gutmüthigsten, ungefährlichsten Politiker, und doch traut uns
eigentlich niemand; wir gelten wie unsichre Genossen und unge-
fährliche Feinde, ganz als hätten wir uns im Aeußern so betragen
und wären im Innern so krank wie Oestreich. Ich spreche nicht
von der Gegenwart; aber können Sie mir einen positiven Plan
(abwehrende genug) oder eine Absicht nennen, die wir seit dem
Radowitzischen Dreikönigsbündniß in auswärtiger Politik gehabt
haben? Doch, den Jahdebusen; der bleibt aber bisher ein todtes
Wasserloch, und den Zollverein werden wir uns von Oestreich ganz
freundlich ausziehn lassen, weil wir nicht den Entschluß haben, ein-
fach Nein zu sagen. Ich wundre mich, wenn es bei uns noch
Diplomaten gibt, denen der Muth, einen Gedanken zu haben, denen
die sachliche Ambition, etwas leisten zu wollen, nicht schon erstorben
ist, und ich werde mich ebenso gut wie meine Collegen darin finden,
einfältig meine. Instruction zu vollziehn, den Sitzungen beizuwohnen
und mich der Theilnahme für den allgemeinen Gang ungfrer Politik