Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

192 Neuntes Kapitel: Reisen. Regentschaft. 
Wenn der König mir wiederholt mündlich das Portefeuille 
Manteuffel's nicht anbot, sondern zu übernehmen befahl mit Worten, 
wie: „Wenn Sie sich an der Erde winden, es hilft Ihnen nichts, 
Sie müssen Minister werden," so behielt ich doch immer den Ein- 
druck im Hintergrunde, daß diese Kundgebungen dem Bedürfniß 
entsprangen, Manteuffel zur Unterwerfung, zum „Gehorsam“ zu 
bringen. Auch wenn es dem Könige Ernst gewesen wäre, so würde 
ich doch das Gefühl gehabt haben, daß ich ihm gegenüber eine 
annehmbare Ministerstellung nicht dauernd würde haben können 7. 
Im März 1857 waren in Paris die Conferenzen zur Schlich- 
tung des zwischen Preußen und der Schweiz ausgebrochenen Streites 
eröffnet worden. Der Kaiser, über die Vorgänge in Berliner Hof- 
und Regirungskreisen stets wohl unterrichtet, wußte offenbar, daß 
der König mit mir auf vertrauterem Fuße stand, als mit andern 
Gesandten und mich wiederholt als Ministercandidaten in's Auge 
gefaßt hatte. Nachdem er in den Händeln mit der Schweiz eine 
für Preußen äußerlich, und namentlich im Vergleich mit der Oest- 
reichs, wohlwollende Haltung beobachtet hatte, schien er voraus- 
zusetzen, daß er dafür auf ein Entgegenkommen Preußens in andern 
Dingen zu rechnen habe; er setzte mir auseinander, daß es unge- 
recht sei, ihn zu beschuldigen, daß er nach der Rheingrenze strebe. 
Das linksrheinische deutsche Ufer mit etwa 3 Millionen Einwohnern 
würde für Frankreich Europa gegenüber eine unhaltbare Grenze 
sein; die Natur der Dinge würde Frankreich dann dahin treiben, 
auch Luxemburg, Belgien und Holland zu erwerben oder doch in 
eine sichre Abhängigkeit zu bringen. Das Unternehmen hinsichtlich 
der Rheingrenze würde daher Frankreich früher oder später zu einer 
Vermehrung von 10 bis 11 Millionen thätiger, wohlhabender Ein- 
wohner führen. Eine solche Verstärkung der französischen Macht 
würde von Europa unerträglich befunden werden, — „devrait 
engendrer la coalition“, würde schwerer zu behalten, als zu nehmen 
4 S. o. S. 88. 138.
	        
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