Usedomiana. Das Entlassungsgesuch von 1869. 209
als Beweis, daß ich kein Vertrauen zu meinen Regierungs Organen
mehr hätte? Niemand schlägt das Glück höher an als ich, daß in
einer 6jährigen so bewegten Zeit dergleichen Diftérenzen nicht
eingetreten sind; aber wir sind dadurch verwöhnt worden — so
daß der jetzige Moment, mehr als gerechtfertigt ist, ein Ebranle-
ment erzeugt. Ja, kann ein Monarch seinem Premier ein größeres
Vertrauen beweisen als ich, der Ihnen zu so verschiedenen Malen
und nun auch jetzt zuletzt noch privat Briefe zusendet, die über
momentan schwebende Fragen sprechen, damit Sie sich überzeugen,
daß ich nichts der Art hinter Ihrem Rücken betreibe? Wenn ich
Ihnen den Brief des Grls von Manteuffel in der Memeler
Angelegenheit X) sendete, weil er mir ein Novum zu enthalten
schien und ich deshalb Ihre Ansicht hören wollte, wenn ich Ihnen
Grls von Boyen Brief mittheilte, ebenso einige Zeitungsaus-
schnitte, bemerkend, daß diese Piecen genau das wiedergäben,
was ich unverändert seit Jahr und Tag überall und aofk fiziel
ausgesprochen hätte — so sollte ich glauben, daß ich mein Ver-
trauen kaum steigern könnte. Daß ich aber überhaupt mein Ohr
den Stimmen verschließen sollte, die in gewissen gewichtigen Augen-
blicken sich vertrauensvoll an mich wenden, das werden Sie selbst
nicht verlangen.
Wenn ich hier einige der Punkte heraushebe, die Ihr Schrei-
ben als Gründe anführt, die Ihre jetzige Gemüthsstimmung her-
beiführten, während ich andere unerörtert ließ, so komme ich noch
auf Ihre eigne Aeußerung zurück, daß Sie Ihre Stimmung eine
krankhafte nennen; Sie fühlen sich müde, erschöpft, Sehnsucht nach
Ruhe beschleicht Sie. Das alles verstehe ich vollkommen, denn
ich fühle es Ihnen nach; kann und darf ich deshalb daran denken
mein Amt niederzulegen? Ebenso wenig dürfen Sie es. Sie
gehören Sich nicht allein, Sich selbst an; Ihre Existenz ist mit der
X) Es handelte sich um die Eisenbahn Memel-Tilsit. Der König war
durch einen Brief des Generals von Manteuffel bestimmt worden, von einer
auf Vortrag der Ressortminister getroffenen Entscheidung wieder abzugehen.
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 14