Die Petersburger Gesellschaft. Der Monsieur décoré in Petersburg. 221
sie geneigt, ihre Kenntniß dieser Sprache zu verleugnen, unfreund-
lich oder garnicht zu antworten und Civilisten gegenüber unter
das Maß von Höflichkeit herabzugehn, welches sie in den Uniform
oder Orden tragenden Kreisen untereinander beobachteten. Es war
eine zweckmäßige Einrichtung der Polizei, daß die Dienerschaft der
Vertreter auswärtiger Regirungen durch Tressen und das der
Diplomatie vorbehaltene Costüm eines Livree-Jägers gekennzeichnet
war. Die Angehörigen des diplomatischen Corps würden sonst,
da sie nicht die Gewohnheit hatten, auf der Straße Uniform oder
Orden zu tragen, sowohl von der Polizei als von Mitgliedern der
höhern Gesellschaft denselben zu Conflicten führenden Unannehm-=
lichkeiten ausgesetzt gewesen sein, welche ein ordensloser Ciovilist,
der nicht als vornehmer Mann bekannt war, im Straßenverkehr
und auf Dampfsschiffen leicht erleben konnte.
In dem Napoleonischen Paris habe ich dieselbe Beobachtung
gemacht 1). Wenn ich länger dort gewohnt hätte, so würde ich mich
haben daran gewöhnen müssen, nach französischer Sitte mich nicht ohne
Andeutung einer Decoration auf der Straße zu Fuß zu bewegen.
Ich habe auf den Boulevards erlebt, daß bei einer Festlichkeit
einige hundert Menschen sich weder vorwärts noch rückwärts be-
wegen konnten, weil sie infolge mangelhafter Anordnung zwischen
zwei in verschiedner Richtung marschirende Truppentheile gerathen
waren, und daß die Polizei, welche das Hemmniß nicht wahr-
genommen hatte, auf diese Masse gewaltthätig mit Faustschlägen
und den in Paris so üblichen coups de pied einstürmte, bis sie
auf einen „Monsieur décoré“ stieß. Das rothe Bändchen bewog
die Polizisten, die Protestationen des Trägers wenigstens anzu-
hören und sich endlich überzeugen zu lassen, daß der anscheinend
widerspenstige Volkshaufe zwischen zwei Truppentheilen eingeklemmt
war und deshalb nicht ausweichen konnte. Der Führer der auf-
geregten Polizisten zog sich durch den Scherz aus der Affaire, daß
) S. o. S. 81.