Gortschakow als Gönner und Gegner. Kaiserliche Gastlichkeit. 225
II.
Wenn ich in Petersburg auf einem der kaiserlichen Schlösser
Sarskoe oder Peterhof anwesend war, auch nur, um mit dem da—
selbst in Sommerquartier lebenden Fürsten Gortschakow zu con—
feriren, so fand ich in der mir angewiesenen Wohnung im Schlosse
für mich und einen Begleiter ein Frühstück von mehren Gängen
angerichtet, mit drei oder vier Sorten hervorragend guter Weine;
andre sind mir in der kaiserlichen Verpflegung überhaupt niemals
vorgekommen. Gewiß wurde in dem Haushalte viel gestohlen, aber
die Gäste des Kaisers litten darunter nicht; im Gegentheil, ihre
Verpflegung war auf reiche Brosamen für den „Dienst“ berechnet.
Keller und Küche waren absolut einwandsfrei, auch in Vorkomm-
nissen, wo sie uncontrollirt blieben. Vielleicht hatten die Beamten,
denen die nicht getrunknen Weine verblieben, durch lange Er-
fahrung schon einen zu durchgebildeten Geschmack gewonnen, um
Unregelmäßigkeiten zu dulden, unter denen die Qualität der
Lieferung gelitten hätte. Die Preise der Lieferungen waren nach
allem, was ich erfuhr, allerdings gewaltig hoch. Von der Gast-
freiheit des Haushalts bekam ich eine Vorstellung, wenn meine
Gönnerin, die Kaiserin-Witwe Charlotte, Schwester unsers Königs,
mich einlud. Dann waren für die mit mir eingeladnen Herrn der
Gesandschaft zwei, und für mich drei Diners der kaiserlichen Küche
entnommen. In meinem Quartier wurden für mich und meine
Begleiter Frühstücke und Diners angerichtet und berechnet, wahr-
scheinlich auch gegessen und getrunken, als ob meine und der
Meinigen Einladung zu der Kaiserin gar nicht erfolgt sei. Das
Couvert für mich wurde einmal in meinem Quartier mit allem
Zubehör auf= und abgetragen, das zweite Mal an der Tafel der
Kaiserin in Gemeinschaft mit denen meiner Begleiter ausgelegt,
und auch dort kam ich mit ihm nicht in Berührung, da ich vor
dem Bette der kranken Kaiserin ohne meine Begleiter in kleiner
Gesellschaft zu speisen hatte. Bei solchen Gelegenheiten flegte die
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I.