Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Als Auscultator beim Criminal= und Stadtgericht. 7 
des Herrn Prätorius, der jedoch ihren Verhandlungen nicht bei- 
wohnte. Zur Charakterisirung dieses Herrn wurde uns jungen 
Leuten erzählt, daß er in den Sitzungen, wenn behufs der Ab- 
stimmung aus einem leichten Schlummer geweckt, zu sagen pflegte: 
„Ich stimme wie der College Tempelhof“, und gelegentlich darauf 
aufmerksam gemacht werden mußte, daß Herr Tempelhof nicht an- 
wesend sei. « 
Ich trug ihm einmal meine Verlegenheit vor, daß ich, wenige 
Monate über 20 Jahre alt, mit einem aufgeregten Ehepaare den 
Sühneversuch vornehmen solle, der für meine Auffassung einen 
gewissen kirchlichen und sittlichen Nimbus hatte, dem ich mich in 
meiner Seelenstimmung nicht adäquat fühlte. Ich fand Prätorius 
in der verdrießlichen Stimmung eines zur Unzeit geweckten, ältern 
Herrn, der außerdem die Abneigung mancher alten Bürokraten 
gegen einen jungen Edelmann hegte. Er sagte mit geringschätzigem 
Lächeln: „Es ist verdrießlich, Herr Referendarius, wenn man sich 
auch nicht ein bischen zu helfen weiß; ich werde Ihnen zeigen, wie 
man das macht.“ Ich kehrte mit ihm in das Terminszimmer 
zurück. Der Fall lag so, daß der Mann geschieden sein wollte, 
die Frau nicht, der Mann sie des Ehebruchs beschuldigte, die Frau 
mit thränenreichen Declamationen ihre Unschuld betheuerte und trotz 
aller Mißhandlung von Seiten des Mannes bei ihm bleiben wollte. 
Mit seinem lispelnden Zungenanschlage sprach Prätorius die Frau 
also an: „Aber Frau, sei sie doch nicht so dumm; was hat sie 
denn davon? Wenn sie nach Hause kommt, schlägt ihr der Mann 
die Jacke voll, bis sie es nicht mehr aushalten kann. Sage sie 
doch einfach Ja, dann ist sie mit dem Säufer kurzer Hand aus- 
einander.“ Darauf die Frau weinend und schreiend: „Ich bin 
eine ehrliche Frau, kann die Schande nicht auf mich nehmen, will 
nicht geschieden sein.“ Nach mehrfacher Replik und Duplik in dieser 
Tonart wandte sich Prätorius zu mir mit den Worten: „Da sie 
nicht Vernunft annehmen will, so schreiben Sie, Herr Referendarius,“ 
und dictirte mir die Worte, die ich wegen des tiefen Eindrucks,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.