Briefwechsel mit Roon über die Huldigungsfrage. 245
steht. Wird der König zu solchem Mittel im Winter greifen wollen,
wenn's paßt? Ich glaube nicht an gute Wahlen für dießmal, ob-
schon grade die Huldigungen dem Könige manches Mittel gewähren,
darauf zu wirken. Aber rechtzeitige Auflösung, nach handgreiflichen
Ausschreitungen der Majorität, ist ein sehr heilsames Mittel, viel-
leicht das richtigste, zu dem man gelangen kann, um gesunden Blut-
umlauf herzustellen.
Ich kann mich schriftlich über eine Situation, die ich nur
ungenügend kenne, nicht erschöpfend aussprechen, mag auch Manches
nicht zu Papier bringen, was ich sagen möchte. Nachdem der
Urlaub heut bewilligt, reise ich Sonnabend zu Wasser, und hoffe
Dienstag früh in Lübeck zu sein, Abend in Berlin. Früher kann
ich nicht, weil der Kaiser mich noch sehn will. Diese Zeilen nimmt
der englische Courier wieder mit. Mündlich also Näheres. Bitte
mich der Frau Gemalin herzlich zu empfehlen. In treuer Freund-
schaft der Ihrige
—- v. Bismarck.“ 1)
Ich hatte fünf Tage lang keine Zeitungen gesehn, als ich am
9. Juli in Lübeck um fünf Uhr Morgens eintraf und aus der im
Bahnhofe allein vorhandnen schwedischen Msädter Zeitung ersah,
daß der König und die Minister Berlin verlassen hatten, die Krisis
also beigelegt sein mußte. Am 3. Juli hatte der König das Manifest
erlassen, daß er das Herkommen der Erbhuldigung festhalte, aber
in Betracht der Veränderungen, welche in der Verfassung der
Monarchie unter der Regirung seines Bruders eingetreten, be-
schlossen habe, anstatt der Erbhuldigung die feierliche Krönung zu
erneuern, durch welche die erbliche Königswürde begründet sei.
Ueber den Verlauf der Krisis schrieb mir Noon am 24. Juli von
Brunnen (Kanton Schwyz) 2):
1) Vollständig in den Bismarckbriefen (7. Aufl.) S. 304 ff., jetzt auch in
Roon's Denkwürdigkeiten 114 28 ff.
2) Bismarck-Jahrbuch VI 196 ff.