Ministerielle Wechselreiterei. Ernennung nach Paris. 251
nothwendig verantwortliche Stellung eines einflußreichen Gesandten
zu verzichten. Dabei konnte ich mir keine sichre Berechnung machen
von dem Gewicht und der Richtung des Beistandes, den ich im
Kampfe mit der steigenden Fluth der Parlamentsherrschaft bei dem
Könige und seiner Gemalin, bei den Collegen und im Lande
finden werde. Meine Lage, in Berlin im Gasthofe wie einer der
intriguirenden Gesandten aus der Manteuffel'schen Zeit im Lichte
eines Bewerbers vor Anker zu liegen, widerstrebte meinem Selbst-
gefühl. Ich bat den Grafen Bernstorff, mir entweder ein Amt
oder meine Entlassung zu verschaffen. Er hatte die Hoffnung,
bleiben zu können, noch nicht aufgegeben, er beantragte und erhielt
in wenig Stunden meine Ernennung nach Paris. "
Am 22. Mai 1862 ernannt, übergab ich am 1. Juni in den
Tuilerien mein Beglaubigungsschreiben. Von dem folgenden Tage
ist nachstehender Brief an Roon!):
„Ich bin glücklich angekommen, wohne hier wie eine Ratte
in der leeren Scheune und bin von kühlem Regenwetter eingesperrt.
Gestern hatte ich feierliche Audienz, mit Auffahrt in kaiserlichen
Wagen, Ceremonie, aufmarschirten Würdenträgern. Sonst kurz
und erbaulich, ohne Politik, die auf un de ces jours und Privat-
audienz verschoben wurde. Die Kaiserin sieht sehr gut aus, wie
immer. Gestern Abend kam der Feldjäger, brachte mir aber nichts
aus Berlin, als einige lederne Dinger von Depeschen über Däne-
mark. Ich hatte mich auf einen Brief von Ihnen gespitzt. Aus
einem Schreiben, welches Bernstorff an Reuß gerichtet hat, ersehe
ich, daß der Schreiber auf meinen dauernden Aufenthalt hier und
den seinigen in Verlin mit Bestimmtheit rechnet, und daß der
König irrt, wenn er annimmt, daß jener je eher, je lieber nach
London zurück verlange. Ich begreife ihn nicht, warum er nicht
ganz ehrlich sagt, ich wünsche zu bleiben oder ich wünsche zu gehn,
1) Bismarckbriefe (7. Aufl.) S. 337 f., jetzt auch in Roon's Denkwürdig-
keiten 1II4 91 f.